Sind Hacker digitale
Schmierfinken oder gar Datenunholde, die das schwer erträgliche Chaos so
genannter Informationsgesellschaften noch größer machen, als es ohnehin
ist? Oder sind Hacker die neue Klasse virtueller Zeitgenossen, die uns in
das gelobte Land von Informationsfreiheit, digitaler Gleichheit und
virtueller Brüderlichkeit führt? Hacker arbeiten seit Jahren an ihrem
eigenen virtuellen Mythos, von dem indes längst nicht zu sagen ist,
was Hacker denn so umtreibt. Pekka Himanen etwa hat in "The
Hacker Ethic and the Spirit of the Information Age" (2001) eine fröhliche
Hackerethik entworfen, deren fundamentales Motiv darin besteht, das eigene
segensreiche Schaffen mit innerer Befriedigung zu begleiten und da, wo
andere von Pflicht reden, den Unterhaltungswert zu suchen. Das mögen auch
Philatelisten für sich reklamieren, ohne dass deshalb daraus schon eine
relevante Ethik der Informationsgesellschaft oder gar ein
gesellschaftlicher Gegenentwurf zum grassierenden Raubtierkapitalismus
entstünde. Dass Hacker nicht als Kriminelle, sondern als herausragende
Zeitgenossen mit den etwas anderen Methoden in die Geschichte eingehen
wollen, versteht sich von selbst und ist auch bei den global agierenden
Graffiti-Meistern eine omnipotente Selbstermächtigung. Dem Vorwurf der
Kriminalität lässt sich am leichtesten begegnen, wenn man auf einer
gleichsam naturrechtlichen Ethik jenseits der Strafgesetzbücher
insistiert.
Nun
erzählt uns „The Hacker Manifesto“ eine alte moralische Geschichte
von Eigentümern und Rebellen, diesmal aufgeführt auf den neuen
virtuellen Bühnen, die aus PC, Code und Internet gebildet sind. Mit dem
Aufkommen der virtuellen Paralleluniversen haben auch alte
Freiheitsgeschichten wieder Konjunktur. Zuvor präsentierten Michael Hardt
und Antonio Negri die neue virtuelle „Multitude“, die nomadisierend
den fiesen Kapitalinteressen des „Empire“ zuwiderhandelt und unter dem
digitalen Pflaster den Strand sucht. Dieser Freiheitserzählungstypus erfüllt
auch den virtuellen Geist des Hackermanifestes von McKenzie Wark. Die
Rollen sind auch hier schnell und übersichtlich verteilt: Auf der einen
Seite repräsentiert sich die imperiale Macht die „Vektoralistenklasse“,
jene die wir zuvor Kapitalisten, Neoliberale oder Bourgeoisie nannten, auf
der anderen Seite wächst die gute Macht der Hacker, jener, die sämtliche
Codes umfunktionieren, virtualisieren und dem typischen Verlauf utopischer
Erzählungen nach schließlich die Eigentumsverhältnisse auflösen, um
uns in das gelobte Land zu führen. So what? In dieses auch in
vordigitalen Zuständen immer schon virtuelle Eden sind wir doch bereits
unendlich oft marschiert und wurden jedes Mal mit der Gewalt des blind
Faktischen wieder herauskatapultiert. Mal folgten wir utopischen
Sozialisten, dann Marx und Engels, später mutierten wir zum Sozius
der deterritorialisierten Schizos respektive der Wunschmaschinen bei
Deleuze und Guattari und landeten schließlich bei den virtuellen
Gemeinschaften des Anti-Empire. Geblieben ist in diesen virtuellen Sphären
der praxisfernen Theorie niemand, denn alle die flottierenden,
rhizomatischen Anarchos und Freigeister sind nur Teil einer imaginären
Freiheitscodierung, die vor allem als Text der einfachen Differenzen vorzüglich
funktioniert: „Ausbildung ist Sklaverei. Ausbildung legt den Geist in
Ketten und macht ihn zu einer Ressource für die Klassenmacht“. Hinter
solchen schnell gehackten Sentenzen würde man eher Pierre Joseph Proudhon
vermuten, der aber immerhin mit seiner Altparole „Eigentum ist
Diebstahl“ auch in den virtuellen Sphären Warks zu neuer Prominenz
avanciert. Auch Marx himself anverwandelt Wark zu der kühnen
Feststellung: „Für den Hacker gibt es immer einen Mehrwert an Möglichkeiten
im Tatsächlichen, den Mehrwert des Virtuellen.“ Wohl wahr. Doch was
anderes beschreibt die Fantommaschine „Hirn“ je anderes als das
notwendig virtuelle Denken, das jeder menschlichen Tätigkeit vorausgeht
und es überbietet? Menschen definieren sich geradewegs als virtuell
selbst gesteuerte Bio-Maschinen.
Leben
ist indes anders, als es im Hacker-Universum ausgeheckt wird: Komplexer,
kontingenter, eben böse, weil es sich schon immer der präskriptiven
Moral der Zeitgenossen erfolgreich widersetzte. Auch virtuelles Leben als
Zweit- und Doppelexistenz kennt Widerstände, die nicht allein aus der
Logik des bösen Kapital und seiner Eigentümer sprießen, sondern einer
perfiden Dialektik dieser Welt folgen, die partout Freiheit nicht als
ubiquitäres Medium des „In-der-Welt-Seins“ zulässt. Sollte das
diesmal alles eine Frage der Zeit, des richtigen „Hacks“, der neuen
Dekonstruktion der Codes und ihrer materiellen Verlängerungen sein? Das
jedenfalls will uns McKenzie Wark erzählen, der zwar mit dem alten Säulenheiligen
der Posthistoire, Gilles Deleuze, die Differenz vor der Wiederholung
feiert, aber sofort die neuen alten Klassengegensätze wiederholt, die
zwar existieren mögen, aber weder analytisch differenziert sind noch die
revolutionäre Praxis im virtuellen Schlepptau führen. Mit einem
Wort: Theoretische Freiheit ist die Freiheit des geduldigen Papiers und
seiner romantisch schneidigen Exkurse, die indes Herbert Marcuse noch
dialektisch versierter als McKenzie Wark paradigmatisch als Signum der bürgerlichen
Freiheitsliteratur erkannte. Längst ist nach der Demontage des letzten
großen Freiheitsentwurfs ein – will scheinen – unaufhaltsamer
Theorieverfall zu beobachten, der die nachgeschichtlichen Schicksalsentwürfe
noch erheblich blutärmer erscheinen lässt als es die großen alten
Diskurse von Freiheit und Gleichheit des Menschengeschlechts waren. Folgen
wir McKenzie Wark werden die Hacker die Information aus ihren Ketten
befreien. Doch schon das Bild „Information will sich frei entfalten,
doch überall liegt sie in Ketten“ bereitet virtuelle Seelenpein. Denn
die Information liegt nicht in Ketten, sondern sie wuchert alles zu. Schon
neigen wir zum Glauben, dass der beste „Hack“ uns von diesen Menschen
ex-formierenden Informationen befreien würde.
Vektoralisten
so wenig wie virtuelle Rebellen, vulgo: Hacker, kennen den Weg, den die
vorgeblich obsolete Geschichte wandeln möchte. Warks Hackervoluntarismus
schildert die Welt als Wille und Vorstellung einer Klasse, die sich weder
als solche versteht noch gar eine politisch homogene Bewegung formieren würde.
Zwar heißt es nach Wark nicht länger „Proletarier aller Länder
vereinigt Euch“, sondern „Befreit das Getriebe der Welt von seinen
Fesseln.“ Doch die „abstrakte Klasse“ der Hacker wird dann doch nur
als internationale Klasse virtueller Proletarier vorgeführt, weil Wark
sich eben an die Macht der Akteure fesselt und damit hinter die
soziologischen Versuche zurückfällt, gesellschaftliche Dynamiken in
ihrer medialen und systemischen Eigenlogik zu begreifen – oder auch
nicht.
Microsoft
jedenfalls kann mit den hackenden Mikrorebellen, so konkret oder abstrakt
sie agieren mögen, gut leben. Die Differenzen dieser Welt bestehen, wie
auch Wark erkennt, doch gerade darin, dass Hacker die Linien wechseln,
gestern noch im Strafverfahren waren und heute auf der Microsoft-Payroll
stehen. Auch die Vektoralisten existieren nicht als Klasse und sind als
soziologischer Tatbestand weniger plausibel als die globalen Unternehmen,
deren Eigendynamik eben nicht von diesem oder jenem Willen seiner Akteure
und schon gar nicht seiner Widersacher abhängig ist. Die „Neue Unübersichtlichkeit“
spottet ihrer theoretischen Inbesitznahmen, die mit alter
rousseauistischer Terminologie den Verdammten dieser Erde mal wieder
geschichtsvergessen optimistisch zu Hilfe eilt. Freilich: Ein Manifest ist
keine Theorie. Doch sind Manifeste nicht politische Instrumente, die längst
stumpf geworden sind, weil die politische Praxis der ökonomischen Selbstläufigkeit
nicht mehr viel entgegenzusetzen hat? Die globale Ökonomie hat
Bewegungsgesetze, die nicht erkannt sind und die Zustände so schnell verändern,
dass auch virtuelles Rebellentum unschwer verkraftet werden kann. Eine
Hacker-Theorie müsste zuvörderst zeigen, wie diese Gesetze verwandelt,
demontiert oder dekonstruiert werden können. McKenzie Warks Versuch fällt
dagegen in eine vortheoretische Machtfantasie der Kleinen gegen die Großen
zurück. Das war schon beim „Anti-Ödipus“ und den „Mille Plateaux“
zu beobachten: Die fröhliche Wissenschaft wuchert, die
Herrschaftsdreiecke der Familie und des Staates werden zerschlagen, aber
dass sich Menschen arrangieren, ihren schnöden Eigennutz suchen und auf
den unsauberen Schnittstellen des Realen und Virtuellen zu überleben
trachten, damit will sich kein hochtönendes Manifest abgeben. Solche
Manifeste sind virtuelle „Spektakel“ (Guy Debord), die in ihrem
einfachen Schema der Gegenüberstellungen den Klassenkampf in seiner
jeweiligen terminologischen Variante feiern. Warum jedoch der Klassenkampf
weder gegenüber den real existierenden noch den virtuellen Verhältnissen
erfolgreich ist, davon erfahren wir nichts. Das kommunistische Manifest
besaß immerhin politischen Appellcharakter, dem man schwerlich
historische Wirkung aberkennen kann. Aberwitzig war allein der
geschichtliche Weg des Manifestes und einer Kritik der politischen Ökonomie,
die in der Bibliothek des Britischen Museums virtuell „gehackt“ wurde
und dann in den realen Gulags endete. Das Hacker-Manifest dagegen hat
keinen Begriff von Politik in einer Struktur, die eben nicht mehr segmentär
beschrieben werden kann und die vormaligen Einheiten von Staat, Familie
etc. nicht mehr plausibel erscheinen lässt. Was Wark hier als „konkret
gewordene Abstraktion“ bezeichnet, transformiert sich an anderer Stelle
der virtuellen Herrlichkeit wieder in die „wirkmächtige Kraft des
Subjekts“. Die Terminologie von „The Hacker Manifesto“ mutet
fundamental satirisch an: Es erscheint wie eine Copy-and-Paste-Theorie,
die hinter ihren terminologischen Mini-Hacks kaschieren will, dass diese
Geschichte auch unter virtuellen Auspizien zu Ende erzählt ist.
Interessant wäre dagegen zu wissen, warum sich solche Geschichten hartnäckig
halten, ohne je ihr Virtualitätsstadium zu verlassen. Solche Heilserzählungen
leben wohl davon, dass sie das notwendige Komplement des real und virtuell
Bestehenden sind. Sie stacheln an, produzieren ein wenig Sand im Getriebe
und lassen die vektoralistischen Maschinen danach besser funktionieren. So
sind auch die „Hacker“ die kompatiblen Teile dieser neuen wie alten
Wunschmaschinen, die eben auch moralischen Betriebsstoff gut verarbeiten.
Der auserwählte „Neo“ und die Seinen koproduzieren die „Matrix“,
der sie vorgeblich entrinnen wollen. Die Koproduktion folgt dem
Freiheitsmythos, der zum evolutionären Betriebsstoff werden mag, nur eben
nicht in dem Sinne, den uns eine neue virtuelle Teleologie der
Geschichte verkaufen will. Es gibt andere Zustände der kapitalistischen
Glaskuppel (Peter Sloterdijk), die zu verfolgen wären, ohne zu glauben,
dass nur der Hack „das Wesen der Natur als ihre Differenz zu sich
selbst“ ausdrückt. Denn das erste virtuelle Gesetz lautet ohnehin, dass
die Differenz den vexierbaren Dingen eingeschrieben ist. In diesem Sinne können
Menschen nolens volens nur Hacker sein, wenn sie die Potenzen der Natur
nutzen wollen.
Warks
„Vektoralistenklasse“, vormals Ausbeuter genannt, hackt selbst globale
Lebensumstände, die auch für die Nichteigentümer Verwöhnungsressourcen
bereithalten und Revolution wie Rebellion bisher als leere Gesten verkümmern
lassen. Wer diese Verhältnisse erfolgreich bekämpfen will, müsste zuvörderst
die „conditio humana“ hacken. Doch die wird weniger von der virtuellen
Verheißungen der neuen Hacker-Klasse beflügelt als von evolutionären
Logiken, denen noch kein Hack beigekommen ist. Wäre McKenzie Wark ein
Hacker nach seiner eigenen Façon, hätte er sein theoretisches Podest,
das aus den abgelegten Versatzstücken der großen Erzählungen besteht,
gründlich zer-„hacken“ müssen, wenn nicht sogar die Idee der Theorie
selbst. Denn schließlich heißt es in der „Wesenslogik“ des Hackers:
„Überhaupt jeder Bereich kann in seinem Wesen gehackt werden.“ Diesen
systemübergreifenden Anspruch hatte auch Pekka Himanen bereits für seine
Hacker-Theorie reklamiert, ohne zu verhehlen, dass deshalb längst nicht
alle Hacker auf eine menschenfreundliche Ethik eingeschworen sind.
Immerhin gut zu wissen: „Unsere Welt trägt noch andere Welten in
sich.“ Sollten die auf einen anderen, fundamentaleren „Hack“
warten?
Goedart
Palm
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