Unser
Kommentar: Der
Untergang des christlichen Abendlandes im Zeichen des Kopftuchs |
Der
Streit um religiöse Kleiderordnungen in Europa geht weiter |
"Der Fanatismus
stirbt ab; ich könnte sogar sagen, er ist tot" (Robespierre in seinem Plädoyer
für Glaubensfreiheit, 1793) |
Die hier zu Lande mit der
Bundesverfassungsentscheidung entfachte Kopftuchdebatte wird in Frankreich bereits seit
ca. 1989 heftig geführt, da dort die strikte Trennung von Staat und Kirche einen
besonders hohen Stellenwert hat. Schon früher hatte "Le Figaro" im Blick auf
die wachsende Zahl muslimischer Mitbürger über den Untergang des christlichen
Abendlandes menetekelt: "Sie werden ganze Städte, ja sogar Regionen an sich
reißen." (Gerhard Schweizer, Islam und Abendland - ein Dauerkonflikt). Wird die
Skyline der westlichen Städte bald überall von Minaretten verziert? Wird das christliche
Glockengeläut vom Ruf des Muezzins übertönt?
Religionskrieg in Aubervilliers
Gegenwärtig geht es vor allem um Kopftücher bzw. Djibab, Tschador oder Burka. Zwei
Schülerinnen eines Pariser Vorortlyzeums in Aubervilliers traf jüngst der Bannfluch
ihrer Schule. Die Schulkonferenz entschied, dass die beiden 16- und 18-jährigen Mädchen
ihr Kopftuch nicht mehr in der Schule tragen dürfen. Zwar gibt es seit 1905 ein
französisches Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche, das allen Beschäftigten im
öffentlichen Dienst untersagt, während ihrer Tätigkeit Zeichen ihrer religiösen
Zugehörigkeit zur Schau zu stellen. Für SchülerInnen gibt es eine solche Regelung aber
nicht. Es liegt lediglich eine höchstrichterliche Entscheidung des Staatsrates aus dem
Jahre 1989 vor, ostentative Zeichen der Religionszugehörigkeit an Schulen zu untersagen.
Davon unberührt soll das Recht sein, seinen Glauben zu bekennen, wenn nicht Rechte
Dritter verletzt werden. Die schwierige Auslegung dieser juristisch offenen bis
unlösbaren Situation ist also den Schulverwaltungen anheim gestellt, die bisher vor allem
Streitfälle produziert haben. In Aubervilliers entschied man sich dafür, das Verhalten
der Schülerinnen als "ostentative" Religionsausübung zu interpretieren. Die
betroffenen Schülerinnen klagen dagegen, man habe an ihnen ein lang vorbereitetes Exempel
statuieren wollen. Seit der Suspendierung vom Schulunterricht lernen sie zuhause und
hoffen nun auf einen erfolgreichen Rechtsstreit gegen die Entscheidung.
Doch dieser Streit wie seine Vorgänger verlangt vielleicht mehr als eine
Einzelfallentscheidung auf rechtlich schwankendem Boden. Staatspräsident Jacques Chirac
setzte bereits eine Kommission ein, die sich mit dem Thema "Laizität" befassen.
Folge könnte eine eindeutige gesetzliche Regelung sein, wenn es nicht zu einer
gesellschaftlichen Einigung kommen sollte. Doch weder in Frankreich noch in Deutschland
sind ein Komment oder gar ein "Gesellschaftsvertrag" in Sicht, während etwa in
Großbritannien das Kopftuch öffentlicher Angestellten - von Ausnahmen abgesehen - nicht
als Provokation wahrgenommen wird.
Der Präsident der französischen antirassistischen
Bewegung MRAP (http://www.mrap.asso.fr/), Mouloud Aounit, sieht in der Entscheidung der
gestrengen Schulmeister eine schreckliche Niederlage für den Säkularismus, die
Intelligenz und den Dialog der Religionen. Dabei macht dieses Statement paradigmatisch
deutlich, dass der Begriff des "Säkularismus" offensichtlich ein
zweischneidiges Schwert im Konflikt der Kulturen ist. Denn die Schule will sich dem Druck
nicht beugen, weil sie gerade Gefahren für die Säkularität ihrer Anstalt sieht. Öl
aufs Feuer könnte sein, dass sich die Schulleitung dabei auf die Schützenhilfe von
Schülern aus dem Maghreb oder mit muslimischem Hintergrund beruft. Diese Schüler hätten
erklärt: Haltet durch, wir wollen an der Schule keine Kopftücher, weil für diese
Mädchen die Schule das letzte Refugium ist.
Erstaunlich ist diese Reaktion der Mitschüler nicht. Das Beharren auf den Zeichen der
Religion wurde immer verdächtigt, eine Antwort auf die Bedrohung der eigenen kulturellen
Identität zu sein. Gerade das Kopftuch erscheint neben anderen Bedeutungen als ein
besonders bildhafter Schutz vor der Vereinnahmung durch die westliche Kultur und ihre
relativen Freizügigkeiten. Nicht nur in Deutschland, sondern auch etwa in der Türkei ist
zu beobachten, dass das Religionsbekenntnis gerade bei jüngeren Menschen Widerstände
auslöst, die dem hiesigen Widerwillen gegen Religion, Frömmigkeit und Klerus sehr
verwandt ist. In der Türkei ist bekanntlich das Tragen von Kopftüchern in Schulen und
Universitäten verboten.
Kleidung als Zeichen
Weiland galt der Minirock einigen Trägerinnen als das Zeichen einer nicht nur sexuellen
Befreiung der Frauen von der Vorherrschaft des Mannes. Das führte selbst zum heftigen
Protest dieser Emanzipierten gegen die Modeindustrie, die den Mini aus saisonalen, also
ökonomischen Gründen vorschnell verabschieden wollte. Oder waren das nur verblendete
Frauen, die nicht erkannten, dass der Minirock das perfideste Unterdrückungsinstrument
einer Männergesellschaft ist, die Frauen zu wohlfeilen Sexobjekten herabstuft?
Auch das Kopftuch wirft ähnliche Auslegungsfragen auf. Denn in einigen westlichen Augen
handelt es sich nicht lediglich um ein religiöses Accessoire, sondern mindestens ebenso
um ein Zeichen der Unterdrückung der Frau. Im heißen Sommer konnte man hin und wieder
lässig gekleidete Muslime sehen, während ihre Frauen in bis oben verschlossenen
Gewändern hinten ihnen her schritten. War nicht hier zu Lande der Kampf für die
Gleichberechtigung, insbesondere in seiner feministischen Prägung, nicht zugleich der
Widerstand gegen eine patriarchalisch autoritäre Religion und ihre ungleichen
Geschlechterverhältnisse? Alice Schwarzer
(http://www.emma.de/content/c1064395315480.html) erkennt heute folgerichtig im
"Schleier der Frauen die Flagge der islamistischen Kreuzzügler" und das
"Symbol für Separierung". "Pseudotoleranz" sei hier fehl am Platze.
Nun sehen einige Musliminnen die islamische Frauenverhüllung fundamental anders, wenn sie
nicht wie viele gedankenlos dem Kleiderkodex aus Gründen religiöser Konvention folgen.
Diverse Trägerinnen interpretieren das Kopftuch als Zeichen ihrer individuellen
Entscheidung für den Islam. Fereshta Ludin, die durch ihr Kopftuch bekannt wurde, das den
letztlich nicht entschiedenen Streitgegenstand des Bundesverfassungsgerichts
(http://www.bverfg.de/cgi-bin/link.pl?entscheidungen) bestimmte, spricht von einer
privaten Entscheidung. Über Emanzipiertheit sage das gar nichts aus. Freiheit oder
Unterdrückung? Persönliches Zeichen oder öffentliches Glaubensbekenntnis? Was denn nun?
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland erklärte dazu offiziell: "Das Kopftuch hat
im Islam weder die Bedeutung einer Kennzeichnung, noch ist es als Missions-,
Demonstrations- oder gar Provokationsmittel vorgesehen" (http://www.muslim-lawyers.net/german/html/000006.html). Frauen, die kein Kopftuch
trügen, könnten gleichwohl gläubige Menschen sein. Doch kommt es auf die Absicht an,
zudem die nicht so lauter sein muss wie die offiziellen Begründungen? Entscheidend kann
nicht die religionsdogmatische Zuordnung eines Kleidungsstücks sein oder die
Selbstverständniserklärung der Betroffenen, sondern die Bedeutung eines Zeichens in der
Öffentlichkeit. Doch auch die ist leider alles andere als klar. Kleider sind, wie schon
Roland Barthes erörterte, mehr als Kleider. Sie folgen Codes, haben eine
interpretationsfähige Semantik und sind regelmäßig Zeichen gesellschaftlicher Ein- und
Ausgrenzung.
Das Dilemma der Toleranz gegenüber religiösen Kleiderordnungen wird indes auch nicht
durch Zeichenanalysen behoben: Sind religiöse Symbole in der Öffentlichkeit Warnzeichen
einer bevor stehenden Intoleranz gegenüber Andersgläubigen? Oder ist es allein
gesellschaftlich tolerant, jedem die Wahl seines Kleidungscodes zu überlassen, in welcher
Funktion er auch immer auftreten mag? Auch der "gothic-look", der das Schwarz
bis zur Kinnlade zum Prinzip gemacht hat, löst bürgerliches Naserümpfen aus. Ein
inkriminierter Tatbestand wird daraus deshalb noch lange nicht, obwohl auch diese
Kleiderordnung eine ideologische Bedeutung als Absage an die bürgerliche Gesellschaft
besitzt. Und wer will ernsthaft Krawattenträgern jenseits von Weiberfastnacht an den
Kragen, nur weil sie mehr oder weniger bewusst ihr phallisches Surrogat als Dekorum ihrer
Person zur Schau stellen?
Zum Dilemma toleranten Umgangs mit den Religionen
Ist es nur ein Frage der Zeit, dass auch der jüngere Islam so müde wird wie das ältere
Christentum und die Kopftücher auszieht? Oder ist das Gegenteil wahrscheinlich? Der
Fundamentalismus gewinnt die Oberhand, um Europa schnurstracks in das Mittelalter
zurückzuführen - diesmal allerdings ein Mittelalter islamistischer,
fanatisch-fundamentalistischer Prägung. Kommt es zum "Dschihad gegen die
Moderne", von dem Salman Rushdie aus eigener leidvoller Erfahrung sprach? Solche
Formeln erzielen zwar hohe Aufmerksamkeit und mögen islamophobe Ressentiments
mobilisieren. Aber die Komplexität vieler Stimmen, die auch mehr oder weniger klare
Frontlinien innerhalb der Religionen selbst bestimmen, treffen sie nicht.
Das deutsche Grundgesetz beantwortet die Frage des Gebrauchs religiöser Zeichen in der
Öffentlichkeit mit der Abwägung zwischen der vorbehaltlos gewährten, aber gleichwohl
begrenzbaren Religionsfreiheit und anderen hochrangigen Rechtsgütern der Gemeinschaft und
des Einzelnen. Doch diese Abwägung ist eher selbst eine Frage als eine Antwort, die zum
wenigsten, wie immer sie ausfällt, eine nicht nur in Glaubensangelegenheit heterogene
Gesellschaft befriedigen könnte. Weder göttliche noch menschliche Gesetze scheinen die
Frage nach dem rechten Umgang mit dem Kopftuch und anderen religiösen Manifestationen
schlüssig für jedermann/jederfrau zu beantworten.
Die Trennung von Kirche und Staat hat eine blutige Sorte von unseligen Konflikten durch
allein selig machende Religionen und Konfessionen vermeiden helfen. Dieses Prinzip ist
daher bei allen kasuistischen Streitigkeiten rund um das Kopftuch zu wahren. Deshalb kann
es grundsätzlich kein Fehler sein, in nicht entscheidbaren Zweifels- und Streitfragen den
Einfluss der Religionen auf ihre jeweiligen Gemeinden zu bescheiden. Das kämpferisch
artikulierte Glaubensbekenntnis von Lehrern und Schülern ist kein Moment des staatlichen
Erziehungsauftrags. Das gilt umso mehr, je konflikthaltiger solche Bekenntnisformen sind,
unabhängig davon, wie gutmeinend die Absicht der Bekennenden sein mag. Die inzwischen
erloschene Diskussion über Schuluniformen, um Gruppenbildungen und Ungleichheiten
zwischen Schülern einzudämmen, ist inzwischen abgeebbt. Doch die Idee, Konfliktstoff aus
den ohnehin gebeutelten "pisanischen Armenhäusern" der Bildungsnation
herauszuhalten, war nicht falsch.
Andererseits ist die Schule als Agentur dieser Gesellschaft auf Selbstbestimmung und
Eigenverantwortlichkeit ihrer Schäfchen gerichtet und erwartet von Pädagogen, dass sie
just diese Werte vermitteln. Wer die Unterdrückung der Frau durch den Islam beklagt, wird
überdies kaum eine Emanzipation von "draußen" erfolgreich propagieren, sondern
muss schon warten, dass die Musliminnen das selbst besorgen. Und muss nicht der, der heute
Kopftücher verbietet, morgen muslimische Bärte oder christliche Anstecknadeln als
Zeichen eines religiösen Bekenntnisses verbieten? Vor der Hintergrund der
nationalsozialistischen Verfolgung von Juden, denen die Bärte abgeschnitten wurden, um
sie ihrer menschlichen Würde zu berauben und ihr Religionsbekenntnis zu desavouieren,
sind solche Maßnahmen zu undelikat, um sie ernsthaft zu diskutieren. Will man Skins
dagegen zukünftig zwingen, ihre Haare wachsen zu lassen, um sie gewaltfreier zu machen?
Die Aporien, in die sich der Staat mit solchen Entscheidungen über die
sozialverträgliche Angemessenheit der persönlichen Erscheinung hineinstoßen lassen
würde, sind unabsehbar. Vor allem aber würde die Jagd auf alle Formen religiöser
Bekenntnisse in der Schule "haargenau" die Konflikte produzieren, die es doch zu
vermeiden gilt.
Es ist zudem ein gravierender Unterschied, ob ein Kruzifix als unpersönliches Symbol
über den Köpfen der Schüler schwebt und gleichsam durch die Institution autorisiert
wird oder das Zeichen einer Religionszugehörigkeit einem persönlichen Träger
zuzurechnen ist. So wenig es in der schulischen Alltagspraxis Lehrern oder Schülern
praktisch zu verwehren ist, ihr Religionsbekenntnis wenigstens beiläufig zu outen, so
wenig dürfte der Kampf gegen religiöse Zeichen dauerhaft erfolgreich sein. Statt dieses
Kampfs sollte eine diskursivere Praxis die zukünftige Konfliktwahl zwischen den Kulturen
bestimmen: Vergleichender Religionsunterricht, Aufklärung über die Geschichte und
Gegenwart religiöser Praxis, Pflichtreferate zum Thema "Unterdrückung der
Frau". Und als ultima ratio: Wer missioniert, agitiert oder hetzt - mit oder ohne
Kopftuch, mit oder ohne Kreuz am Revers - fliegt im Wiederholungsfall von der Schule.
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