Mobbing - eine Reise in die Schattenwelt der Unternehmen
"Mobbing" ist ein prominentes Thema der Medien. Das verwundert nicht, weil uns hier menschliche Dramen im Schnittpunkt existenzieller Nöte, gesteigerter Emotionen und harter juristischer Auseinandersetzungen präsentiert werden. Es geht um
Leidensgeschichten, die für viele nachfühlbar sind, die selbst Ungerechtigkeiten am Arbeitsplatz erlebt haben. Wer kann sich von solchen Erfahrungen völlig freizeichnen? Zwar ist der Name neu, doch Ausgrenzungen von Menschen aus Lebens- und Arbeitszusammenhängen sind so unvordenklich alt wie das Thema
"Gerechtigkeit" selbst. Das alleine mag noch nicht ausreichend sein, die aktuelle Prominenz des Themas zu erklären. Es geht zugleich um die Art und Weise, wie Gesellschaften in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten mit diesem Phänomen umgehen. Wie schwer es Gesellschaften fällt, Mobbing zu erkennen, zu
verhindern und zu ahnden, demonstriert bereits prima vista der ungezügelte Streit über das Thema. Was den einen als menschenverachtender Repressionstatbestand erscheint, wird von anderen als zwar konfliktreiche, aber letztlich doch sozialadäquate Unternehmenspraxis angesehen. Mobbing erscheint paradigmatisch für
die Abgründe von Arbeitsstrukturen, die sich mit dem Selbstverständnis erfolgreicher Unternehmen nicht vereinbaren lassen. Die marxistische Theorie hätte zuvor von Widersprüchen in der Arbeitswelt gesprochen, die notwendig in einer kapitalistischen Produktionswirklichkeit auftreten. Mit diesen oder anderen
Theorien würden sich unter den Auspizien eines idealen Menschen Phänomene wie "Mobbing" auflösen. Solche Theorien versagen wohl auch in Zukunft vor der Komplexität menschlicher Beziehungen, die sich nicht auf Synergie, Interessenausgleich und Harmonisierung unterschiedlicher Persönlichkeiten reduzieren lassen.
In Gesellschaften, die mit harten wirtschaftlichen Konkurrenzbedingungen und insbesondere Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben, wird Mobbing wahrscheinlicher. Der Kampf um den Arbeitsplatz heiligt dann die perfiden Mittel. Der Kollege mit den besseren Kenntnissen
oder der uneinholbaren Erfahrung wird zur realen oder eingebildeten Gefahr. Der Vorgesetzte mobbt Untergebene in das Abseits, um seinen Platz in der Unternehmenshierarchie zu sichern. Volkswirtschaftlich betrachtet ist Mobbing katastrophal, weil es oft darauf gerichtet ist, wertvolle "Human Resources" aus
dem Unternehmen zu verbannen. Es bindet im täglichen Grabenkrieg der Kontrahenten Energien, die dem Unternehmen nicht mehr zufließen. Es beeinträchtigt Kommunikationen und Erfahrungsaustausch. Mobbing zerstört das Betriebsklima und die Arbeitsfreude. Im Zusammenhang mit modernen Stressoren am Arbeitsplatz treten
Burnout und ähnliche Erschöpfungszustände auf, die Menschen jahrelang belasten oder endgültig dem Arbeitsmarkt entziehen. Familiäre Folgewirkungen gehen mit mobbingbedingten Arbeitsplatzverlusten einher, die eine Existenz nicht nur wirtschaftlich ruinieren können.
Obwohl diese Effekte längst bekannt sind, ist das augenscheinlich nicht Grund genug, das Mobbing als Defekt eines produktiven menschlichen Umgangs miteinander wirksam zu bekämpfen. Nachvollziehbar wird das nur durch die je spezifischen Erscheinungsweisen des
Mobbing. Hinter der Oberflächenfassade der Kooperativität, des Zusammenwirkens zum höheren Unternehmenszweck und gemeinsamer Interessen verlaufen zahlreiche Frontlinien zwischen Mitarbeitern auf horizontaler Ebene oder zwischen Mitarbeitern und Vorgesetzen auf vertikaler Ebene. In großen Unternehmen können
Mobbing-Strukturen so komplex wie geradewegs unsichtbar werden. Ich erinnere mich an die paradigmatische Aussage eines Mandanten, der in einem großen Unternehmen arbeitete und lediglich erkannte: "Ich weiß, dass ich hier einen Feind habe, aber ich weiß nicht, wer es ist und welche Gründe er hat." Diese
Art von Intransparenz passt nicht zu rationalen Unternehmensstrukturen, die vorgeblich die Unternehmenspraxis prägen. Es wäre ein gewaltiger Erkenntnisfortschritt zu begreifen, dass die personalen Unternehmensstrukturen sich nicht im Hinweis auf Unternehmensziele, Funktionen und Organigramme erschöpfen. So wie der
Homo oeconomicus längst als Fiktion entlarvt ist, so existieren weder Vorgesetzte noch Mitarbeiter, die ihre Persönlichkeit am Werkstor zurücklassen.
Es gibt selten Unternehmer, die einräumem, in ihrem Unternehmen werde gemobbt. Das verdankt sich
einerseits dem Umstand, dass hier den Unternehmer hohe Schadensersatzklagen treffen können, die ihrer Fürsorgepflicht für den Arbeitnehmer nicht oder nicht im gebotenen Maß nachgekommen sind. Auch lässt die "corporate identity" nicht zu, dass destruktive Energien im eigenen Unternehmen verortet werden.
In Zeiten, in denen große Budgets für Imagewerbung von Unternehmen ausgegeben werden, ist „Mobbing“ das Unwort schlechthin. In außerprozessualen Auseinandersetzungen ist es mitunter opportun, nicht von Mobbing, sondern von Persönlichkeitsrechtsverletzungen oder der Vernachlässigung der Fürsorgepflicht des
Arbeitgebers zu sprechen. Der explizite Mobbing-Vorwurf stößt zu oft auf eine Mauer des Schweigens und kann den Konflikt noch verschärfen. Das macht Analysen des Sachverhalts und insbesondere juristische Auseinandersetzung äußerst schwierig. Denn es gibt prinzipiell keine gesellschaftlich umfassende Rezeption des
Phänomens, sondern "nur" Betroffenheitsberichte, die a priori unter dem Vorbehalt einer einseitigen, leidensorientierten Selbstdarstellung stehen. Der arbeitsgerichtliche Prozess ist jederzeit gefährdet, zur Fortsetzung von Mobbingstrategien mit anderen Mitteln zu werden. Hier geht es um Konfrontation,
nicht um Aufarbeitung.
Eine zufrieden stellende Problemlösung des Mobbing gibt es nicht, weil es an effizienten Institutionen und Mitteln fehlt. Für das Unternehmen selbst ist der Konflikt so geprägt, dass er - wie immer auch entschieden werden mag - vordergründig nur negative Auswirkungen hat.
Denn die Ermittlung von Sachverhalten stellt nicht nur hohe Anforderungen von Unternehmen, die kaum geeignete Verfahren dafür besitzen. Bereits per se ist die Problemaufbereitung, die Involvierung von Vorgesetzten und Mitarbeitern, die Suche nach Zeugen etc. geeignet, den Betriebsfrieden zu stören. Das Problem
wiederholt sich auf gerichtlicher Ebene unter verschärften Umständen. Auffallend ist bereits die Diskrepanz zwischen den extensiven Mobbing-Diskussionen in der Öffentlichkeit und der Verhaltenheit der Gerichte, Entscheidungen zu treffen, die diesen Missstand auch deutlich zum Ausdruck bringen. Zahlreiche Verfahren
dieser Art enden mit Vergleichen, die zwar Parteien und ihre Rechtsverfolgungsinteressen befriedigen mögen, aber eben nicht anzeigen, das "Mobbing" sanktioniert wird. Die Vokabel ist bereits verpönt. Gerichte sind fraglos nicht beauftragt, der öffentlichen Meinung und ihren volatilen Stimmungen zum
Ausdruck zu verhelfen. Aber wieso beklagen sich zahllose Arbeitnehmer vehement über Mobbing und bleibt gleichzeitig die Zahl erfolgreicher Klagen so höchst überschaubar? Sind das Heerscharen querulatorischer Mitarbeiter, die die Schuld für persönliches Versagen nicht bei sich, sondern anderen suchen?
Definitiv ist Mobbing kein Tatbestand, der von der Rechtsprechung durch einfache Subsumtion leicht festgestellt werden. So formuliert das Oberlandesgericht Köln: "Festzuhalten ist zunächst, dass ´Mobbing´ kein Rechtsbegriff ist und erst recht keine Anspruchsgrundlage,
sondern ein volkstümlich gewordener Sprachbegriff, mit dem eine Vielzahl unterschiedlicher, fortgesetzter Konfliktsituationen am Arbeitsplatz beschrieben wird, welche von mindestens einem der Betroffenen als gegen seine Person gerichtet und schikanös empfunden wird." (OLG Köln vom 24.05.2012 - 7 U 207/11 -
juris). "Im Einzelfall können daher aus innerbetrieblichen Konflikten zwischen Kollegen bzw. zwischen Mitarbeiter und Vorgesetzten" Ansprüche entstehen. Das heißt, dass es zunächst nur um Empfindungen geht, das Verhalten des Gegenübers
handele schikanös. Dieser Relativierung folgt die nächste: In der Grundannahme des Gerichts geht es um Einzelfälle. Doch es gibt noch weitere Ausschlussfilter solcher Ansprüche. Die Rechtsprechung unterscheidet danach, ob es sich um sozial adäquate Konfliktsituationen oder eben "Mobbing" handelt. Diese
Unterscheidung ist für den Richter schwer zu treffen, denn welche Außenbetrachtung solcher Konflikte vermag schon die Sozialadäquanz eines betrieblichen Verhaltens anzugeben. Gerade im Fall von Mobbing-Praktiken wird das zu
einem konstitutiven Erkenntnisdilemma, weil gerade nach außen hin das Profil sozialadäquaten Verhaltens gar nicht verlassen sein muss. Der Richter stößt hier auf das Problem, eine Betriebswirklichkeit untersuchen zu müssen, ohne sich einen unmittelbaren Eindruck davon verschaffen zu können. Das kennzeichnet zwar
eine generelle Eigenschaft richterlicher Überzeugungsbildung. Im Fall des Mobbing tritt aber hinzu, dass es oft keine gut beschreibbaren äußeren Umstände gibt, die etwa so deutlich wie im Fall einer Körperverletzung eine greifbare Verletzungshandlung darstellen und dem zugeordnet einen entsprechenden
Verletzungserfolg aufweisen. Wer beispielsweise einem Mitarbeiter schikaniert, in dem er ihm unklare oder unvollständige Instruktionen gibt, um Fehler zu begünstigen, ist in der Tatsachenrekonstruktion oft nur schwer als Mobber zu erkennen. Denn wer vermag später noch zu entscheiden, ob Aussagen mehr oder weniger
deutlich gemacht wurden oder nicht doch der Fehler beim Mitarbeiter liegt. Begrifflichkeiten wie "er hat mich schief angesehen" oder "sein Ton war aggressiv" können falsch interpretierte Persönlichkeitssignale sein oder vorsätzliche Anfeindungen. Dieses breite Interpretationsfeld menschlicher
Verhaltensweisen, die oft im Bereich emotionaler Zwischentöne liegen, bildet eine Grauzone, die das ideale Biotop des Mobbers darstellt. „Mobber“
sind nicht lediglich psychologisch leicht durchschaubare Persönlichkeitstypen, sondern, so wie Gelegenheit Diebe macht, abhängig von konkreten Umständen der Betriebsorganisation und –kommunikation. Mobber tauchen in Unternehmen vor allem da auf, wo ihre Praktiken der Beobachtung entzogen sind, weil Kontrollen
fehlen oder die Mobbing-Techniken gut getarnt werden können. Mobbing ist deshalb so gefährlich, weil es wie ein Chamäleon in betrieblichen Abläufen verschwindet. Da werden unfreundliche Akte in der Bandbreite üblichen menschlichen Verhaltens versenkt, während die Opfer sehr genau spüren, wie es gemeint war.
Doch dieses Sensorium ist intersubjektiv und insbesondere in gerichtlichen Erkenntnisverfahren schlecht bis gar nicht vermittelbar.
Die wohl einhellige Auffassung der Rechtsprechung fordert zudem ein "systematisches Verhalten" auf Seiten des Mobbers. Wer angelegentlich oder mit großen Unterbrechungen andere schikaniert gehört nicht in diese Kategorie des rechtlich definierten
"Mobbing". Aber selbst hier ist noch nicht klar konturiert, wie die soziale Angemessenheit konturiert werden soll. Das Oberlandesgericht München (Entscheidung vom 04.05.2012 - 1 U 1227/12 - juris) geht etwa davon aus, dass "nicht schon wiederholte, den Einzelnen treffende auch herbe Kritik seiner
Person oder seiner Leistung oder der Verzicht auf anständigen, rücksichtsvollen Umgang mit Schwächen das Persönlichkeitsrecht" verletze. Wenn der Verzicht auf Rücksicht keine Verletzung darstellt, scheint sich das Erkenntnisproblem des verantwortlichen Richters noch weiter zu verschärfen. Vor allem aber könnte
diese Freistellung des Handelnden von Rücksicht den dadurch Betroffenen nur noch schwer vermittelbar sein, wenn es im Klartext doch heißt, dass Gerichte solche Verhaltensweisen unangestandet passieren lassen. Juristen fragen nach konkreten Folgen und manifesten Tatbeständen, die eine objektive Kontur besitzen müssen, wenn sie beurteilt werden sollen. Insofern bleiben arbeitsgerichtliche Überprüfungen fragile Instrumente der Problembehandlung.
Hierin liegt eine gefährliche Ambivalenz, weil die Schwierigkeiten, die das Mobbing auslöst, einschließlich der arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung, insgesamt geringer sein können als angemessene innerbetriebliche Problemlösungen. Mobbing wird regelmäßig an der Frage
festgemacht, ob Mitarbeiter entlassen werden können. Das Damoklesschwert einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung trifft keinesfalls die Täter eher als die Opfer. Denn eine Störung wird dadurch beseitigt, dass ein Beteiligter freiwillig oder eben unfreiwillig das Unternehmen verlässt. Zahlreiche Kündigungsverfahren
führen also nicht zufällig den Mobbingvorwurf wie ein latentes Leitmotiv mit sich. Arbeitsgerichte suchen hier nach effektiven Lösungen, die regelmäßig dem Prinzip der Kompensation für den Verlust des Arbeitsplatzes folgen. So wird eine Abfindung gezahlt, die mehr oder minder zum Ausdruck bringen kann, dass es
Unregelmäßigkeiten gab. Vergleiche bieten den immensen Vorteil, dass aufwändig ermittelte Schuldzuweisungen erst gar nicht vorgenommen werden müssen.
Näher betrachtet begründet „Mobbing“ also ein immer noch offenes Zuständigkeitsproblem der Gesellschaft, dessen Ausdruck und nicht Lösung die Mobbing-Beauftragten, Mobbing-Konferenzen und Mediatoren vieler Couleur sind. Zwar hat man einige Ursachen des Phänomens
erkannt, aber ist längst nicht in der Lage, wirklich effiziente Problemlösungsverfahren anzubieten. Die die Mobbing-Beauftragten und Mobbing-Konferenzen, die „rules of conduct“ oder „compliance guides“ erscheinen wie Selbstberuhigungen des Unternehmens, dass personale Probleme grundsätzlich lösbar sind –
so wie wirtschaftliche Aufgaben auch als planbar gelten, so wenig das chaotische Entwicklungen je erklärt hätte. Bessere Arbeitsbedingungen wären nur dann zu gewährleisten, wenn die gesellschaftliche Wahrnehmung für diese
spezifische Aggressionsform des Arbeitslebens innerhalb und außerhalb der Unternehmen besser würde. |