Leben wir schon bald in einer
Gesellschaft ohne
Verbrechen,
zumindest einer Gesellschaft, in der sich Verbrechen nicht mehr lohnt?
Rudolph Moshammers Tod hat eine Dauerdiskussion über den
kriminalistischen Umgang mit Gen-Daten neu belebt. Bundesinnenminister
Otto Schily, Christdemokraten und die Gewerkschaft der Polizei schwärmen
schon länger von der allmächtigen DNA-Probe, die Verbrechensaufklärung
tendenziell zur reinen Datenabgleichung macht.Schily erklärte 2003, fünf
Jahre nach Einführung der Gen-Datenbank, dass die DNA-Analyse so
umfassend genutzt werden solle, wie es der Strafverfolgung am besten
diene. Edmund Stoiber erkennt in dem DNA-Powertool „das entscheidende
Ermittlungsinstrument im 21. Jahrhundert." Von der Verdoppelung der
Fahndungserfolge ist die Rede. „Jack the Rippers“ ungeklärte
Verbrechen (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/11/11319/1.html) wären
heute nur noch einen Mouse-click von der Aufdeckung entfernt, wenn man
Ermittler und Datensammler nur so richtig an die Erkenntnisquellen heranlässt.
Nicht minder segensreich erscheint die Entwicklung in den USA, wo dank
DNA-Test zahlreiche Inhaftierte wieder zu freien Menschen wurden. Ist es
dann nicht so logisch wie krimino-logisch unabdingbar, vom Fingerabdruck
zum DNA-Profil zu avancieren, das noch in der winzigsten Faser, der
achtlos weggeworfenen Zigarettenkippe den flüchtigen Täter verrät? Nun
wird diese Aufklärungsmethode erst durch die Speicher perfekt. Mächtige
Gen-Datenbanken machen dann jeden Tatort zum Info-Paradies von
Datenherren, die zuvor nur genügend Profile speichern müssen, um bei
einen Mord in Hamburg einen Täter in München oder - bei internationalen
Regelungen - irgendwo in Europa aufspüren zu können.
Wer
Daten hat, hat Macht. Wie immer geht es auch bei der DNA-Datenherrschaft
um die älteste Abwägung in liberalen Rechtsstaaten, um jene nie alle
gesellschaftlichen Gruppen beruhigende Balance zwischen Freiheit und
Sicherheit. Wollt ihr die
totale Aufklärung? Für
den Sicherheitsstaat ist das kein Problem: Neue Überwachungsszenarien
treffen doch ohnehin nur die Bösen. Nun kann es inzwischen aber auch dem
Frömmsten unheimlich werden, wenn er registriert, welche technologischen
Aufrüstungen ihm heute schon die Datenhaut vom Leibe ziehen. Datenraub im
Internet oder die Panoptisierung des öffentlichen Raums durch Kameras
sind Alltäglichkeiten geworden, ohne dass ein befriedigender Schutz gegen
die wachsende Datengier in Sicht wäre.
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Für
Volker Beck von den „Grünen“ liegt
das Risiko bei den Gen-Daten darin, dass anhand der DNA nicht lediglich
die schlichte Identität eines Verdächtigen, sondern auch sensible Daten
wie Krankheiten ablesbar seien. Folge der Datensammelleidenschaft könnten
Persönlichkeitsprofile werden, die nicht nur jeden Eierdieb zur
Rechenschaft ziehen. Legen Gen-Datenbanken schließlich den Menschen bis
auf sein Gen-Schicksalsskelett blank? Nun wäre dieser Zahn zu ziehen,
wenn eben die Teile der DNA, die weit reichende Erbgutinformationen
beinhalten, erst gar nicht in die Datenbanken wandern. Für GdP-Chef
Konrad Freiberg ist dagegen der Eingriff durch Gentests in Bürgerrechte
nicht größer als klassisch erkennungsdienstliche Mittel wie etwa
Fingerabdruck oder Foto. Die
Gewerkschaft der Polizei will daher flächendeckend genetische Fingerabdrücke
sammeln. Nun stöhnte die
Polizei noch 2003 über fehlende Mittel, selbst die nach gegenwärtiger
Rechtslage zulässigen Daten zu speichern. Freiberg hielt die Ausweitung
der DNA-Datenspeicherung ohne die Bereitstellung personeller und
materieller Ressourcen für die Datensammler für kaum denkbar.
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Doch
vor allem der schnelle Vergleich zwischen Fingerabdruck und genetischem
Fingerabdruck ist ohnehin zweifelhaft (http://www.datenschutzzentrum.de/material/themen/polizei/gfadbdruck.htm),
wie es die TAZ erfuhr, als sie diesen Vergleich Anfang des Jahres zog. Das
zulässige DNA-Profil nach der Strafprozessordnung (StPO) eröffnet unter
Umständen eben auch weitere Informationen über die Betroffenen wie etwa
die Information über einige Krankheiten. Ein weiteres Risiko der
strafprozessualen Praxis ist wegen der Möglichkeit der Nachuntersuchung
die Aufhebung der Gewebeprobe. Denn
vor allem haben Daten und ihre Träger die unangenehme Angewohnheit, wenn
sie erst mal gewonnen wurden, nicht so leicht entsorgt zu werden, wie es
die „Delete“-Taste verheißen mag.
Diese
Umstände machen klar, dass die crux des Datenmissbrauchs längst nicht
behoben ist. Die Gerichte haben die Aufgabe die „informationelle
Selbstbestimmung“ zu schützen. Dabei ist der gesellschaftliche Umgang
mit dieser Selbstbestimmung nicht frei von Wertungsschwierigkeiten, die
mitunter aporetisch anmuten. Denn der gehörnte Vater darf nach der jüngsten
Rechtsprechung des BGH nicht in heimlichen
Vaterschaftstests die
Speichelprobe „seines“ Kindes untersuchen lassen, während die
technikbegeisterten Datenschnüffler etwa Bagatellstraftaten für
ausreichend halten, um das gesamtgesellschaftliche Gendaten-Mosaik zu
vergrößern.
Das
zentrale Argument der Sicherheitsfreunde lautet Prophylaxe und
Abschreckung. Innenminister
Gottfried Timm (SPD) von Mecklenburg-Vorpommern wies darauf hin, dass
Sexualmörder und Vergewaltiger zuvor meist durch weniger schwere Delikte
wie Diebstahl oder Betrug in Erscheinung treten. Nach der derzeitigen
Rechtslage wandern solche Fälle nicht zur DNA-Analyse in die Datenbank.
Wenn es nach derlei kriminologischem Weitblick geht, könnte aber demnächst
auch im Kindergarten schon nach Verhaltensauffälligen zu fahnden sein,
deren Datenprofile sich vielleicht in einigen Dekaden mal zum wertvollen
Stoff für die Verbrechensbekämpfung veredeln könnten (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/13/13035/1.html).
Wäre es dann nicht noch besser, sofort nach der Geburt jeden genetischen
Fingerabdruck gleich zur Gen-Datenbank zu senden. Man weiß ja nie! Auch
jenseits kriminologischer Wissenschaft werden Risikotätergruppen
bekanntlich nach jedem boulevardzeitungstauglichen Mord erweitert.
Mit
anderen Worten: Es geht um das rechte Maß. Dabei leuchtet die Sicherheit
jedem ein, während das Freiheitsgefühl des Bürgers, nicht als
Gen-Schicksals-Opfer in irgendwelchen Datenbanken zu ruhen, regelmäßig
schlechter politisch vermittelbar ist. Gerade die Ermordung Rudolph
Moshammers ist dabei kein überzeugendes Beispiel für die Verschärfung
bestehender Regelungen. Insofern handelt es sich lediglich um ein weiteres
Beispiel, dass Ereignisse in Mediengesellschaften oft genug
instrumentalisiert werden, um aufmerksamkeitsheischende Begründungen für
staatliche Eingriffsgelüste sprudeln zu lassen. Der Minority-Report lässt
grüßen (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/13/13309/1.html) - aber nicht als eine Präkognitions-Gesellschaft, die
hellseherische Eignungen benötigt, sondern als ein schnödes Laplace-Universum, in dem sich Jeremy Bentham und Sherlock Holmes die
Hand reichen.
Der
Kriminologe und ehemalige niedersächsische Justizminister Christian
Pfeiffer und die bayerische
Justizministerin Beate Merk (CSU) verweisen
auf den Abschreckungseffekt der Gen-Dateien. Täter müssten, wenn sie
genetisch profiliert sind, mit einem ungleich höheren Risiko leben. Den
größeren Teil der Juristen überzeugt das längst nicht. Der
Strafrechtler Peter-Alexis
Albrecht von der Uni Frankfurt/Main will die Abgabe von Gen-Material
weiterhin an Straftaten
von erheblicher Bedeutung knüpfen. Allein wenn es also um Verbrechen oder
etwa Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung geht, käme diese
Erkenntnisquelle in Betracht: „Sonst
kommen wir von der Freiheit zur Unfreiheit.“ Das Problem ist also längst
nicht gelöst. Zumindest steht aber fest, dass immer mächtigere
Informationsgesellschaften noch besser lernen müssen, die Verlagerung der
staatlichen Macht von klassischen Eingriffsbefugnissen zur Datenherrschaft
mit dem Transparenzgebot des Rechtsstaats zu vereinbaren. Und die Zeit drängt,
weil die technischen Möglichkeiten einer gesellschaftlichen
Totalerfassung und Durchmusterung aller Bürger schneller wachsen könnten
als die Erkenntnis, dass wild wuchernde Informationen die gefährlichsten
Machtinstrumente eines im Verborgenen operierenden Staates wären.
Goedart
Palm
Old Bailey,
vielleicht das berühmteste Strafgericht der Welt in London
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