Attentat auf die
Attentäterin in effigie
Goedart Palm 19.01.2004 für das
Online-Magazin "Telepolis"
Der israelische
Botschafter Zvi Mazel attackiert in Schweden ein Kunstwerk
Die Installation: Das Foto einer lächelnden
Palästinenserin treibt in einem Boot mit der Aufschrift
"Schneewittchen" in blutrotem Wasser, umspielt von den Klängen einer Bach-Kantate.
Bei der Frau handelt es sich um die Selbstmordattentäterin [1] Hanadi Dschadarat, die vor einigen Monaten in Haifa 21 Menschen in den
Tod mitriss. Der israelische Botschafter in Schweden, Zvi
Mazel, konnte diesen Anblick im Historischen Museum in Stockholm nicht
länger ertragen. Er warf mehrere Scheinwerfer auf das Boot und
versuchte es anschließend aus dem Wasser zu holen. Augenzeugen zufolge soll er
sich sehr heftig erregt, ja wie "irrsinnig getobt" haben.
Das Attentat auf die Attentäterin in effigie
könnte ein Interpretationsversehen sein. "Das war
kein Kunstwerk. Es war eine Ungeheuerlichkeit, eine obszöne Verzerrung
der Realität", erläuterte der Botschafter seine Tat. Dass Kunstwerke
eine Ungeheuerlichkeit sind, spricht nicht gegen sie. Dass Kunstwerke die
Realität - welche überhaupt? - umformen, ist ihr Geburtsrecht.
Dem Botschafter zufolge glorifiziert das Werk jedoch
Selbstmordattentäter. Fürwahr ist Schneewittchen doch ein Symbol der Unschuld,
die in ihrer Schönheit strahlt und alle Mittel heiligt: "Weiß
wie Schnee, rot wie Blut (!) und schwarz wie Ebenholz." Sollte diese
motivische Überblendung ein provokatives Kalkül des Künstlers gewesen
sein, die Attentäterin zur erhabenen Unschuld zu erhöhen?
Das sieht der Künstler freilich fundamental
anders. Der gebürtige Israeli, Dror Feiler, will laut
Selbstinterpretation mit seinem plakativen Werk Schneewittchen und der
Irrsinn der Wahrheit [2] demonstrieren, wie die Hilflosigkeit Menschen
zu furchtbaren Taten anstiften kann. Das klingt politisch sehr
korrekt, aber jene empörten Israelis, die jetzt seine Ausbürgerung
fordern, nehmen ihm diese Gesinnung nicht ab. Und liegen nicht ohnehin
Welten zwischen künstlerischen Absichten und Werken?
Der Künstler verweist auf den Hintergrund
seiner Arbeit: Die palästinensische Attentäterin hatte kurz vor
ihrer Tat erlebt, wie ihr Bruder von israelischen Soldaten erschossen
wurde. So ganz füllt dieses Motiv allerdings auch nicht das Format des
Werks. Ist das unschuldige Schneewittchen (Selbstmordattentäterin) von
der bösen Königin (Israel) vergiftet worden, um selbst böse zu werden?
Oder ist die Wahrheit Irrsinn und Gift, das zuvor unschuldige
Menschen explodieren lässt? Und wer ist überhaupt der Prinz? Der Künstler
selbst? Solche "offenen Kunstwerke" lassen sich variantenreich
interpretieren, bis sich jeder seinen eigenen Reim darauf macht und alle
schließlich des Streitens müde sind. Doch so weit sind wir hier noch
nicht.
Herrschaft über die Zeichen
Der Botschafter fühlte sich jedenfalls nicht
allein durch die Reizfarbe "Rot" zu seinem protokollwidrigen
Verhalten provoziert. Nun mag man so viel spontane Erhitzung einem Diplomaten nicht
so recht glauben. Und in der Tat: Mazel soll der Zeitung
"Haaretz" gegenüber erklärt haben, er habe keineswegs aus spontaner Wut gehandelt.
Es sei ein geplanter Protestakt gewesen. Das macht die
Angelegenheit nun ästhetisch kompliziert. Denn sollte es beim Botschafter
auch ein polit-künstlerischer Akt gewesen sein, eine
aufmerksamkeitsheischende Performance, die ihre Mittel nicht weniger
präzise wählte als der Schneewittchen-Künstler seine eigenen?
Spiegelt sich nicht das militärische Vergeltungsschema in diesem
inszenierten Angriff auf die Kunst wieder? Und überhaupt hat doch erst die
Aktion des - in den Augen des Künstlers - "zügellosen
Hooligan" das Blutsee-Kunstwerk zu dem gebracht, was es jenseits dieses
Polit-Spektakels aus eigener Kraft kaum je erreicht hätte: Globale
Aufmerksamkeit jenseits der Umzirkelung von Galerien und Museen.
Denn hier geht es längst nicht nur um Kunst
bei der Frage, wen man trifft, wenn man das Kunstwerk trifft. Ariel
Sharon heißt die Tat jedenfalls im Schulterschluss mit seinen
Ministern gut. Das schwedische Außenministerium insistiert dagegen auf einer
Entschuldigung des Diplomaten. Für Sharon ist des Botschafters
inszenierte Kunst der Kunstzerstörung ein Zeichen gegen den
wachsenden Antisemitismus. Das Kunstwerk ist also so notwendig wie unwichtig,
um den Eklat zu produzieren und die Herrschaft über die
Zeichen zu erlangen. Israels ehemaliger Botschafter in der Türkei, Alon
Liel, erläutert die psycho-hygienische Austauschbeziehung zwischen
provokanter Kunst und provokanten Reaktionen durchaus
plausibel: "Wir haben einfach nicht genug
Gelegenheit, unsere Wut über die schrecklichen Selbstmordanschläge
rauszulassen." Ob die Lösung des Wutstaus und die
Aufmerksamkeit für den präzedenzlosen Bilderstreit nun fatale oder
heilsame Wirkungen für den Israel-Palästina-Konflikt hat, wissen wir
nicht. Wir erleben aber zumindest einen der glückhaften Momente der
Kunst, nicht wie üblich in ihrem eigenen selbstbezüglichen System
politisch völlig folgenlos verrechnet zu werden und kaum je die nächste
Vernissage zu überleben. Der Botschafter und der Künstler haben in
ihrer unvorhergesehenen Kooperation synästhetische Qualitäten
bewiesen, die unseren zeitgenössischen Begriff von Kunst auf das
Vorzüglichste bedienen.
Denn nur solange Kunstwerke Fragen stellen,
die nicht beantwortet werden, bleiben sie Kunst - wobei es jedem
Zuschauer nun freigestellt ist zu entscheiden, ob hier der Kunstprofi
oder der Politiker die eindringlichere Form der Kunst gefunden hat.
Alexander Demandt hat in seiner instruktiven Zeitreise durch die
Geschichte des Vandalismus den möglichen Endpunkt dieser Historie so
markiert:
"Wird Gewalt gegen Kultur zur Form
von Kultur, so ist mit der Kunst auch der Vandalismus am Ende. Die Hoffnung
aber scheint mir verfrüht."
Der undiplomatische Vandalismus von
Stockholm ist ein solches Kunstwerk der Provokation, in dem die Rollen von
Provokateur und Provoziertem zerlaufen und ineinander übergehen. Die Kunst
liebt diese Ambivalenzen. Aber die Politik befasst sich nun mit dieser
originellen Aktion wieder anhand ihres tradierten wie bleiernen
Formenkanons. Die Museumsleitung hatte die Arbeit eigens im Blick auf eine
internationale Konferenz in Stockholm aufgestellt, die sich Ende Januar
mit dem Thema Verhinderung von Völkermord [3] befassen soll. Die
Schweden wollen ihr Kunstwerk weiterhin in diesem Kontext präsentieren und
drängen auf Abbitte des Botschafters. Das israelische
Außenministerium droht dagegen an, diese Konferenz zu boykottieren. Diese Politik ist
die Fortsetzung der Kunst mit schlechteren Mitteln.
Links
[1]
http://www.heise.de/tp/deutsch/special/ost/15777/1.html
[2]
http://www.makingdifferences.com/site/calendar.php?lang=en&id=20
[3]
http://www.preventinggenocide.com/
Telepolis
Artikel-URL des Originalartikels:
http://www.telepolis.de/deutsch/special/auf/16563/1.html |