Darf
man in Romanen lebende Personen kritisch darstellen?
Der
BGH hat hierzu in der "Esra-Entscheidung"
Stellung genommen und
wir versuchen hier, das Argumentationsmuster zu verstehen: Bei einem erzählenden
Kunstwerk umfasst die Verfassungsgarantie auch die freie Themenwahl und
die freie Themengestaltung.
Die
Kunstfreiheitsgarantie enthält nämlich unstreitig das Verbot, auf
Methoden, Inhalte und Gestaltungen Einfluss zu nehmen.
Anders
als die Meinungsfreiheit (vgl. Art. 5 Abs. 1 und 2 GG) steht das
Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) zwar nicht unter
einem Gesetzesvorbehalt. Jedoch darf sich auch der Künstler, wenn er sich
in seiner Arbeit mit Personen seiner Umwelt auseinandersetzt, nicht über
deren verfassungsrechtlich ebenfalls geschütztes Persönlichkeitsrecht
hinwegsetzen; er muss sich innerhalb des Spannungsverhältnisses halten,
in dem die kollidierenden Grundwerte als Teile eines einheitlichen
Wertesystems neben- und miteinander bestehen können. Deshalb ist im
Konfliktfall auf die nachteiligen Auswirkungen der Veröffentlichung für
die Persönlichkeit des Dargestellten zu sehen und auf die durch ein Veröffentlichungsverbot
betroffenen Belange freier Kunst. Beide Interessenbereiche sind
gegeneinander abzuwägen, wobei insbesondere auch zu beachten ist, dass
Charakter und Stellenwert des beanstandeten Textes als Aussage der Kunst
das Verständnis von ihm im sozialen Wirkungsbereich zu beeinflussen vermögen.
Diese Wirkung wird noch dadurch verstärkt, dass Daten auf dem
Klappentext zur Person des Autors mit Daten des Ich-Erzählers
übereinstimmen.
Wer
als Schriftsteller Personen in einer Weise erkennbar macht, dass sich
Romanfiguren einer real existierenden Person eindeutig zuordnen lassen, kündigt
nach Auffassung des BGH die Übereinstimmung zwischen Autor und Leser auf,
dass es sich beim literarischen Werk um Fiktion handelt. Mit dieser
Aussage habe ich im Blick auf ca. zweieinhalb Jahrtausende Literatur
erhebliche Probleme, hierin eine Konvention zwischen Schriftsteller und
Leser zu erkennen. Die Beziehung dürfte erheblich vielschichtiger sein,
als der BGH es hier im normativen Interesse darstellt.
Soweit
die Darstellung des Lebens der Klägerinnen der Wahrheit entspricht, ist
es nicht
gerechtfertigt,
dass ihre persönlichen Belange der Öffentlichkeit präsentiert werden,
argumentierte das Gericht weiter. Soweit der Autor Details hinzugefügt
hat, handelt es sich um überwiegend negative oder bloßstellende
Schilderungen, welche die Intim- oder Privatsphäre der Klägerinnen und
ihre Lebensweise in einer Weise entstellen, die diese nicht mehr hinnehmen
müssen. Da der Autor durch die zahlreichen Details aus dem Leben der Klägerinnen
beim Leser den Eindruck erweckt, er liefere ein Porträt, wirkt sich die
Hinzufügung unwahrer negativer oder bloßstellender Tatsachen besonders
nachteilig aus. Der Leser wird die Schilderungen wegen der sonst
verfolgten Tatsachengenauigkeit mit realen Einzelheiten aus dem Leben der
Betroffenen gleichsetzen.
Wichtig
für Autoren: Wahrheit in Verbindung mit Kunstfreiheit ist eine
gefährliche Mischung, die bei den Gerichten kritisch aufgenommen werden
kann. |