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 Rechtsanwalt Bonn Dr. Palm

 

 

 

Insolvenz

Insolvenzverschleppung

Zahlungsunfähigkeit

 

 

 

 

In Deutschland geht mal wieder ein Gespenst um. Das Gespenst der Firmenpleiten, der Insolvenzen. Wie geht man damit juristisch um? Einige Hinweise geben wir im folgenden, wie man sich gegen den Vorwurf der Insolvenzverschleppung wehren kann. 

Im Rahmen von Klageverfahren kommt es regelmäßig darauf an, wann die Insolvenzreife eines Unternehmens eingetreten ist. Der Insolvenzverwalter wird darauf hinweisen, dass Zahlungen auf wesentliche Verbindlichkeiten, obwohl sie fällig (Fälligkeit lt. Rechnung nicht erst Verzug oder Mahnung) sind, nicht mehr geleistet wurden. Also muss man sich die Verbindlichkeiten genauer anschauen. Verteidigt sich etwa der GmbH-Geschäftsführer wird er darauf hinweisen, dass die  Liquiditätsengpässe gering waren. Das bleibt juristisch ein diffuser Bereich, weil es auf Zukunftseinschätzungen ankommt, die nicht leicht zu treffen sind. 

 

Was eine Zahlungsunfähigkeit ist, wurde bisher eher chaotisch definiert, wie der BGH neulich feststellen konnte: "Zahlungsunfähig ist danach auch ein Schuldner, der nur einen Gläubiger hat und außerstande ist, diesen zu befriedigen. Eine Quote zum Ausscheiden "ganz geringfügiger Liquiditätslücken" wird teilweise ganz abgelehnt. Andere halten für "ganz geringfügig" eine Quote von unter 5 %. Vereinzelt wird auch eine Rückkehr zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit nach der Konkursordnung befürwortet. 

 

Der Bundesgerichtshof (24.05.2005; - IX ZR 123/04) hat das genauer definiert. Nach Auffassung des Senats ist daran festzuhalten, dass eine Zahlungsunfähigkeit, die sich voraussichtlich innerhalb kurzer Zeit beheben lässt, lediglich als Zahlungsstockung gilt und keinen Insolvenzeröffnungsgrund darstellt...Als Zeitraum für die Kreditbeschaffung sind zwei bis drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend. Die Vorschrift des § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG zeigt, dass das Gesetz eine Ungewissheit über die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft längstens drei Wochen hinzunehmen bereit ist.

 

a) Eine bloße Zahlungsstockung ist anzunehmen, wenn der Zeitraum nicht überschritten wird, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu leihen. Dafür erscheinen drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend.

b) Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird.

c) Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.

Liegt bei einem Unternehmen eine "Unterdeckung" von weniger als 10 % vor, reicht das nicht - isoliert betrachtet - zum Beleg der Zahlungsunfähigkeit. Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit in § 64 GmbHG kann nicht anders verstanden werden als in § 17 InsO. Denn für den Beginn des den Geschäftsführer treffenden Zahlungsverbots genügt in objektiver Hinsicht die bestehende Insolvenzreife. 

In diesem Fall muss der Insolvenzverwalter die Zahlungsunfähigkeit anhand anderer Anhaltspunkte beweisen. In der umgekehrten Situation - das flüssige Kapital reicht nicht, um 10% oder eben mehr der Forderungen zu erfüllen, muss der Geschäftsführer Anhaltspunkte liefern, dass dieser Engpass in näherer Zukunft behoben worden wäre. Die 10 % sind also keine magische Grenze, sondern eine widerlegbare Vermutung. Vorübergehende Zahlungsstockungen begründen noch keine Zahlungsunfähigkeit. Drei Wochen wären noch ein Zeitraum einer erträglichen Zahlungsstockung, wie der BGH (s.u.) ausführt.  

Im Übrigen geht es um die Frage, ob sich der Geschäftsführer sorgfältig verhalten hat, mit anderen Worten: "War es einem sorgfältig handelnden Geschäftsmann erkennbar, dass Insolvenzreife eingetreten war?" 

Dazu der BGH: "Entscheidend ist hier, ob im Zeitpunkt der Zahlung bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes die Insolvenzreife der Gesellschaft für den Geschäftsführer nicht erkennbar ist, wobei diesen allerdings die volle Darlegungs- und Beweislast trifft (BGHZ 143, 184, 185; BGH, Urt. v. 1. März 1993 - II ZR 61/92, WM 1994, 1030, 1031). Wenn dieser erkennt, dass die GmbH zu einem bestimmten Stichtag nicht in der Lage ist, ihre fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten vollständig zu bedienen, jedoch aufgrund einer sorgfältigen und gewissenhaften Prüfung der Meinung sein kann, die GmbH werde vor Erreichen des Zeitpunkts, bei dem eine Zahlungsstockung in eine Zahlungsunfähigkeit umschlägt - also binnen drei Wochen -, sämtliche Gläubiger voll befriedigen können, darf er innerhalb dieses Zeitraums, solange sich seine Prognose nicht vorzeitig als unhaltbar erweist, Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar sind (vgl. § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG), an Gläubiger leisten, ohne die Haftung befürchten zu müssen. Müsste er anstehende Zahlungen zurückhalten, bis die Zahlungsfähigkeit insgesamt wieder hergestellt ist, würde er dadurch die Geschäftsbeziehungen zu den betreffenden Gläubigern, auf deren Fortführung der Betrieb der Schuldnerin mehr denn je angewiesen ist, gefährden. Auch läge eine Zahlungseinstellung vor, mit welcher der Geschäftsführer möglicherweise Eröffnungsanträge der Gläubiger (§ 14 InsO) herausfordern würde. Ist die Zahlungsfähigkeit nach Ablauf der Frist noch nicht wieder hergestellt, darf er - weil nunmehr die endgültige Zahlungsunfähigkeit fest steht - nur noch solche Zahlungen leisten, welche die Insolvenzmasse nicht schmälern oder erforderlich sind, um das Unternehmen für die Zwecke des Insolvenzverfahrens zu erhalten.

Für die Prognose, die der Geschäftsführer anstellen muss, sobald bei einer Liquiditätsbilanz eine Unterdeckung festzustellen ist, und die er bei jeder vorzunehmenden Zahlung kontrollieren muss, sind die konkreten Gegebenheiten in bezug auf den Schuldner - insbesondere dessen Außenstände, die Bonität der Drittschuldner und die Kreditwürdigkeit des Schuldners -, auf die Branche und die Art der fälligen Schulden zu berücksichtigen

"...Einen Insolvenzgrund auch bereits bei sehr kleinen Liquiditätslücken anzunehmen, verbietet sich schließlich im Interesse des Schuldners. Sofern seine Auftragslage gut ist und künftig mit anderen Zahlungseingängen gerechnet werden kann, wäre es unangemessen, wenn er wegen einer vorübergehenden Unterdeckung von wenigen Prozent, die nicht binnen drei Wochen  beseitigt werden kann, Insolvenz anmelden müsste. Der damit verbundene Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen (Art. 12, 14 GG) wäre unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit bedenklich (Himmelsbach/Thonfeld aaO S. 15)."

Warum eigentlich 10 %? 

"Eine starre Grenze hätte auch der Gesetzgeber einführen können. Da er davon abgesehen hat, wollte er offensichtlich für die Rechtsanwendung eine gewisse Flexibilität ermöglichen. Würde beispielsweise angenommen, bei einer Unterdeckung von weniger als einem bestimmten Vomhundertsatz läge keine Zahlungsunfähigkeit vor, beim Erreichen dieses Vomhundertsatzes jedoch stets, bliebe unberücksichtigt, dass derartige Quoten für sich allein genommen keine abschließende Bewertung eines wirtschaftlich komplexen Sachverhalts wie der Zahlungsunfähigkeit erlauben. Bei einem Unternehmen, dem im Hinblick auf seine Auftrags- und Ertragslage eine gute Zukunftsprognose gestellt werden kann, hat eine momentane Liquiditätsunterdeckung in Höhe jenes Vomhundertsatzes eine ganz andere Bedeutung als bei einem solchen, dem für die Zukunft ein weiterer geschäftlicher Niedergang prophezeit werden muss. Daher kommt die Einführung eines prozentualen Schwellenwerts nur in der Form in Betracht, dass sein Erreichen eine widerlegbare Vermutung für die Zahlungsunfähigkeit begründet.

Der Senat hält es für angemessen, den Schwellenwert bei 10 % anzusetzen. Ein höherer Wert ließe sich mit der Absicht des Gesetzgebers, die Anforderungen an die Annahme der Zahlungsunfähigkeit abzusenken, schwerlich vereinbaren. Andererseits wäre ein niedrigerer Schwellenwert als 10 % - in Betracht kommt dann nur noch 5 % - dem rigorosen "Null-Toleranz-Prinzip" zu sehr angenähert, um noch praktische Wirkungen entfalten zu können.

Liegt eine Unterdeckung von weniger als 10 % vor, genügt sie allein nicht zum Beleg der Zahlungsunfähigkeit. Wenn diese gleichwohl angenommen werden soll, müssen besondere Umstände vorliegen, die diesen Standpunkt stützen. Ein solcher Umstand kann auch die auf Tatsachen gegründete Erwartung sein, dass sich der Niedergang des Schuldner-Unternehmens fortsetzen wird. Geht es um die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, muss das Insolvenzgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InsO) solche Umstände feststellen. Geht es um die Geschäftsführerhaftung nach § 64 GmbHG, muss die Gesellschaft, die den Geschäftsführer in Anspruch nimmt, oder deren Insolvenzverwalter die besonderen Umstände vortragen und beweisen.

Beträgt die Unterdeckung 10 % oder mehr, muss umgekehrt im Rahmen des § 64 GmbHG der Geschäftsführer der Gesellschaft - falls er meint, es sei doch von einer Zahlungsfähigkeit auszugehen - entsprechende Indizien vortragen und beweisen. Dazu ist in der Regel die Benennung konkreter Umstände erforderlich, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass die Liquiditätslücke zwar nicht innerhalb von zwei bis drei Wochen - dann läge nur eine Zahlungsstockung vor -, jedoch immerhin in überschaubarer Zeit beseitigt werden wird. Im Zusammenhang mit einem Gläubigerantrag (§ 14 InsO) muss sich der Schuldner auf diese Umstände berufen, und das Insolvenzgericht hat sie festzustellen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InsO). Je näher die konkret festgestellte Unterdeckung dem Schwellenwert kommt, desto geringere Anforderungen sind an das Gewicht der besonderen Umstände zu richten, mit denen die Vermutung entkräftet werden kann. Umgekehrt müssen umso schwerer wiegende Umstände vorliegen, je größer der Abstand der tatsächlichen Unterdeckung von dem Schwellenwert ist."

Im übrigen wird man sich in diesen Fällen immer fragen müssen: Durfte noch gezahlt werden, um den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten? Das wäre etwa der Fall, wenn den Zahlungen Eingänge korrespondierten, sodass dadurch keine Benachteiligungen oder Masseschmälerungen eingetreten sind. 

Die schuldhafte Insolvenzverschleppung durch den Geschäftsführer einer GmbH berechtigt die Gesellschaft zur fristlosen Kündigung des Anstellungsvertrages aus wichtigem Grund (BGH, 20. Juni 2005, AZ: II ZR 18/03).
Gläubiger, die den Geschäftsführer einer GmbH wegen einer Insolvenzverschleppung auf Haftung in Anspruch nehmen, müssen darlegen und beweisen, dass die Voraussetzungen des § 64 GmbHG vorliegen. Ihnen kommen selbst dann keine Beweiserleichterungen zu gute, wenn der Geschäftsführer die Bücher der GmbH nicht ordnungsgemäß geführt hat (OLG Brandenburg 2005). 

Anspruchsgrundlage: Möglicher Anspruch gegen den Geschäftsführer  gemäß § 823 Abs.2 BGB in Verbindung mit §§ 283 bis 283d StGB und § 64 GmbHG. Danach haftet ein GmbH-Geschäftsführer, der die Geschäfte der GmbH in einer insolvenzreifen Situation weiterführt, den Neugläubigern, die bei rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrags keine Geschäfte mit der GmbH mehr getätigt hätten, auf Schadensersatz. Den Beweis für das Vorliegen der objektiven Voraussetzungen der Insolvenzantragspflicht muss der Gläubiger erbringen.

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