Grundsatz
Der Umfang der gebotenen Aufsicht
über Minderjährige bestimmt sich nach deren Alter, Eigenart und
Charakter, nach der Vorhersehbarkeit des schädigenden Verhaltens
sowie danach, was den Aufsichtspflichtigen in ihren jeweiligen Verhältnissen
zugemutet werden kann (So grundlegend der Bundesgerichtshof).
Insbesondere hängt es von den Eigenheiten des Kindes und seinem
Erziehungsstand ab, in welchem Umfang allgemeine Belehrungen und
Verbote ausreichen oder deren Beachtung auch überwacht werden muss.
Das gilt sowohl dann, wenn es
darum geht, die Schädigung Dritter durch den Jugendlichen zu
verhindern, wie auch dann, wenn der Jugendliche vor den Folgen seines
eigenen unvernünftigen Verhaltens geschützt werden soll. Die Gren-ze
der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen richtet sich danach, was
verständige Aufsichtspflichtige nach vernünftigen Anforderungen tun
müssen, um Schädigungen des Minderjährigen oder Schädigungen
Dritter durch den Minder-jährigen abzuwenden; es kommt darauf an, ob
der Aufsichtspflichtige im konkreten Fall in Bezug auf die zur
widerrechtlichen Schadenszufügung führenden Umstände eine
ausreichende Aufsicht geführt hat (vgl. BGH a.a.O.; BGH NJW-RR 87,
1043; NJW 95, 3385; Senatsbeschluss vom 02.05.1991 - 6 W 7/91 - OLGZ
92, 95; OLG Hamm. - 9. ZS . - FamRZ 95, 167). Das bedeutet aber nicht
nur, dass bestimmte Aufsichtsformen praktiziert werden, sondern
selbstredend auch, dass die Einrichtung sicher sein muss. So hat der
Bundesgerichtshof z.B entschieden: „ Wenn es nicht zu vermeiden und
jedenfalls nicht ausschließlich ist, dass Kinder tagsüber zeitweise
ohne Aufsicht gelassen werden, so muss der Inhaber des Kinderheimes
den Verschluss der Fenster so gestalten, dass er von Kindern nicht
unbefugt geöffnet werden kann.“ Das ist bei Jugendlichen nicht so
zwingend, aber wenn hier die Möglichkeiten, Fenster zu öffnen,
eingeschränkt werden, um Rauchen etc. zu verhindern, sollte das in
Erwägung gezogen werden.
Was gilt für Betreuungen über Nacht?
Jugendliche dürfen nicht nachts
auf sich allein gestellt sein. Eine ordnungsgemäße Betreuung macht
es mindestens erforderlich, dass ein Betreuer die Nacht hindurch im
Internat ist. Hierbei gibt es typische Gefahren. Die Gerichte fordern
Kontrollen der Jugendlichen, insbesondere um alkoholischem Missbrauch
vorzubeugen. Ein Alkoholverbot, das man selbstverständlich
aussprechen sollte und das auch in die Hausordnung aufzunehmen ist,
reicht für sich allein betrachtet, also nicht aus.
Bei auswärtiger Unterbringung von
Jugendgruppen müssen die Betreuer durch geeignete und wirksame Maßnahmen
dafür sorgen, dass es nicht zu Exzessen bezüglich Alkohol oder
anderen Problemmaterien kommt. In einer wichtigen Entscheidung des OLG
Hamm (21.12.1995/Aktenzeichen: 6 U 78/95) hat das Gericht im Verlauf
der Nacht gelegentliche Kontrollen auf den Zimmern für erforderlich
erachtet, wobei das Gericht das von dem Umstand abhängig macht, dass
noch nicht allgemeine Ru-e eingekehrt sei. Dem kann nach Auffassung
des Gerichts nicht entgegengehalten werden, dass derartige Kontrollen
nicht mit dem Ziel der Erziehung zur Selbständigkeit und mit dem
Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und unangetastete
Intimsphäre vereinbar seien. Wenn also keine Ruhe eingekehrt ist,
sollten mindestens „gelegentliche“ Kontrollen stattfinden, was
nicht zu parametrisieren ist, aber jedenfalls klar macht, dass die
Erwartung, es gäbe keine Aufsichtsprobleme, weil der Betreuer nicht
angesprochen wird, keinesfalls verantwortlich wäre. Derartige
Kontrollen, die die Einhaltung der Hausordnung und die Sicherheit der
Jugendlichen gewährleisten sollen, seien sowohl bei sportlichen
Veranstaltungen- mit Gruppenunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften
wie auch bei damit vergleichbaren Klassenfahrten durchaus üblich und
werden von den Jugendlichen als berechtigt angesehen und akzeptiert.
Die Gerichte sehen zwar, dass nicht alle auf jugendtypischen
Unverstand zurückzuführenden Schäden durch Kontrollen verhindert
werden können, und dass es durchaus denkbar gewesen wäre, dass
solche Schäden auch sich ereignet hätten, wenn die Bedingungen den
gesetzlichen/richterlichen Maßgaben entsprechen.
Eine mehr oder minder entfernte Dienstwohnung des Betreuungsperson zu
dem Ort des Aufenthalts der Jugendlichen kann nicht ausreichend sein,
wenn die Verbindungswege unmittelbares Eingreifen oder jedenfalls
schnelle Kontaktaufnahmen behindern. Klar sein muss auch, dass die
Person ordnungsgemäß ausgewählt sein muss und nicht überarbeitet
sein darf. Wenn etwa ein Hausmeister einen vollen Arbeitstag hinter
sich hat und ihm gleichwohl zugemutet wird, am Abend für diverse
Stunden mit einer entsprechenden Nachtpräsenz zur Verfügung zu
stehen, dürfte das problematisch sein. Letztlich gilt hier immer die
Kontrollüberlegung: Wie stellt sich bei der Verkettung einiger unglücklicher
Umstände der Ernstfall dar? Hätte das bei gebotener Sorgfalt
zumindest erahnt werden können, dass hier eine Gefahrenquelle
besteht?
Die Betreuer einer aus 40 Kindern im Alter zwischen 8 und 12 Jahren
bestehenden Feriengruppe trifft nicht der Vorwurf der
Aufsichtspflichtverletzung, wenn sie die Gruppe während eines Besuchs
eines Freibades nicht in Kleingruppen unterteilen, die der ständigen
feststehenden Betreuung durch zumindest einen Betreuer unterstehen.
Dies ist bei der Altersstufe, der die Kinder der Feriengruppe angehören,
nicht mehr erforderlich. Hier genügt es auch bei einem
Schwimmbadbesuch, dass die Betreuer sich an Schwerpunkten aufhalten
und freiwillige Gruppen von Kindern um sich scharen, denen sich jedes
Kind nach Belieben anschließen kann, auch wenn es hierdurch ermöglicht
wird, dass sich einzelne oder auch mehrere Kinder einer Überwachung
und Kontrolle entziehen können, da für Kinder dieses Alters eine ständige
Kontrolle nicht mehr erforderlich ist. Die Betreuer haften daher nicht
aus dem Aspekt der Aufsichtspflichtverletzung, wenn eines der Kinder,
denen die Anweisung erteilt war, sich nur im Nichtschwimmerbecken
aufzuhalten, das insbesondere im Bereich einer Rutschbahn von den
Betreuern beaufsichtigt wurde, nach einem Ertrinkungsunfall im
Schwimmerteil des Beckens aufgefunden wird. Ob das allerdings jedes
Gericht so gesehen hätte, bleibt fraglich. Wichtig ist nur, dass die
gesamte Planung der Sicherheit einen plausiblen Charakter hat, sodass
durchaus verschiedene Modelle denkbar sind.
Abgesehen davon, dass ein Betreuer
eine kompetente Person sein muss, ist die Frage, ob eine Verletzung
der Aufsichtspflicht damit verbunden sein kann, wenn zu viele
Jugendliche von zu wenigen Aufsichtspersonen betreut werden. Ein
„Teilnehmer-Betreuer-Schlüssel“ im Sinne eines Rechtsautomatismus
gibt es nicht. Entscheidend ist, dass ein Betreuer bei der Durchführung
der Aufsicht nicht überfordert ist. Nachts ist selbstverständlich
weniger Betreueraufwand zu erwarten als tagsüber. Wenn hier zwei
potentielle „Einsatzorte“ gleichzeitig zu betreuen bzw. zu überwachen
sind, stellt sich die Frage, wo sich die maßgebliche Person bzw. auch
zwei Personen zur Wahrung der Aufsichtspflicht aufhalten. Gewährleistet
sein muss, dass die Person gut angesprochen werden kann. Besteht von
dem einen Flur zum anderen etwa die Möglichkeit eines Rufkontakts?
Auch wenn das keine umfassende Freizeichnung von Aufsichtspflichten eröffnet,
sollte unbedingt Sorge dafür getragen sein, dass Notrufmöglichkeiten
so praktisch und leicht zugänglich zur Verfügung gestellt werden,
dass Hilfe von außen einfach erreichbar ist.
Hier kann auch situativ bedingtes Handeln eine große Rolle bei
der Entscheidung spielen, ob die konkrete Betreuungsweise keine
Verletzung der Aufsichtspflicht darstellt.
Ggf. müssen auch
geschlechtsspezifische Betrachtungen einbezogen werden: Fehlt bei
einer Reise mit jungen Mädchen eine weibliche Begleitung, und dürfen
Jugendliche im Alter von 14 Jahren bis 1:00 Uhr bzw. 3:00 Uhr ohne
Aufsicht eines Erwachsenen ausgehen, so ist die Betreuung mangelhaft,
wurde etwa vom Amtsgericht Bielefeld am 13.05.1998 (Aktenzeichen: 4 C
1288/97) entschieden. Das Thema ist ohnehin delikat und kann noch
ausgeführt werden. Es gibt Autoren, die sogar die Verteilung von Verhütungsmitteln
empfehlen, was natürlich paradoxe Effekte haben kann und daher eher
indiziert, wie fragil die Bewertungsmaßstäbe mitunter sind.
Im Übrigen ist natürlich immer zu berücksichtigten, dass
altersgemäß von Schülern
ein bestimmtes Maß an Selbstverantwortung erwartet werden
kann, was dann im Ernstfall zu Abwägung von Verantwortlichkeiten und
entsprechenden Einschränkungen des vollen Schadensrisikos führt.
Klar wird, dass es um Abwägungen geht, die man in einer späteren
gerichtlichen Praxis nicht a priori vorwegnehmen kann. Es
handelt sich bei solchen Entscheidungen oftmals um
Einzelfallbetrachtungen, die den Betroffenen ungerecht erscheinen,
weil es a-posteriori-Maßstäbe zu sein scheinen. Deshalb sollte man
sehr kritisch mit den konkreten Situationen umgehen und sich nicht nur
auf standardisierte Vorkehrungen verlassen. Gibt es auffällige
Jugendliche bzw. schwierige Gruppen? Hat sich bereits zuvor aufgrund
irgendwelcher Modalitäten ein Schaden ereignet, der nun vorhersehbar
ist, sodass man später mit dem richterlichen Vorwurf leben muss, dem
konkreten Schadensereignis habe man aufgrund entsprechender Vorfälle
besser vorbeugen sollen. Besonders fatal ist es, wenn sich ein Schaden
schon einmal zuvor in ähnlicher Weise ereignet hat. Dann sind
Exkulpationsversuche zum Scheitern verurteilt.
Hinweise und Verbote ersetzen selbstverständlich keine
Aufsichtspflichten, aber im Ernstfall kann es eine erhebliche Rolle
spielen, wenn gerade bei älteren Schülern nachweisbar ist, dass sie
auf bestimmte Verhaltensweise und Verbote hingewiesen worden sind.
Insofern sollte man auch potentielle Gefahrenumstände (extensiv) mit
der Gruppe oder auch auffälligen Einzelnen thematisieren und ggf.
fragen, ob Umstände vorliegen, die wiederum Gefahreneintritte wahrscheinlicher machen. Allerdings reicht nach der Rechtsprechung
eine Belehrung zu Beginn eines Aufenthalts, keine strafbaren oder
sonstige inkriminierte Handlungen zu begehen, nicht einmal aus.
Erforderlich ist vielmehr, dass diese Belehrung in ausreichendem
Umfang "aufgefrischt" wird.
So sollte die Hausordnung in
eindeutiger Weise (Abzeichnung) den Schülern und – soweit die Schüler
minderjährig sind – den Erziehungsberechtigten - zur Kenntnis
gebracht werden. Bei jedem Betreten bzw. Verlassen des Schul- und
Internatsgeländes sollte für die Schüler eine Meldepflicht eingeführt
werden. Die Meldepflicht sollte auch für Besucher, insbesondere Angehörige,
gelten. Schließlich sind
Einwilligungserklärungen der Eltern – etwa zur Frage, ob der Schüler
die Einrichtung verlassen darf - auch ein wichtiges Instrument der
Schadensverlagerung. |