BAG - AZ
2 AZR 923/94, Urteil vom 05.10.95: 1.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (seit BAGE 5, 157 = AP Nr. 2 zu
§ 123 BGB; zuletzt BAG Urteil vom 11. November 1993 - 2 AZR 467/93 - AP Nr. 38 zu § 123
BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen,
m.w.N.) kann grundsätzlich der Arbeitsvertrag auch durch Anfechtung gemäß § 123 Abs. 1
BGB beendet werden.
Der Tatbestand der arglistigen Täuschung gemäß § 123 BGB setzt in
objektiv er Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von
Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn zur Abgabe einer
Willenserklärung veranlasst. Die Täuschung kann auch in einem Verschweigen von
Tatsachen bestehen, wenn der Erklärende zur Offenbarung der entsprechenden Tatsache
verpflichtet ist.
Nicht jede falsche Angabe des Arbeitnehmers bei den
Einstellungsverhandlungen stellt danach bereits eine arglistige Täuschung i. S. des §
123 BGB dar, sondern nur eine falsche Antwort auf eine zulässig gestellte Frage
(Senatsurteil vom 21. Februar 1991 - 2 AZR 449/90 - AP Nr. 35 zu § 123 BGB). Ein
Fragerecht des Arbeitgebers bei den Einstellungsverhandlungen wird nur insoweit anerkannt,
als der Arbeitgeber ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der
Beantwortung seiner Frage im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis hat. Ein solches
berechtigtes Interesse ist nur dann gegeben, wenn das Interesse des Arbeitgebers so
gewichtig ist, dass dahinter das Interesse des Arbeitnehmers, seine persönlichen
Lebensumstände zum Schutz seines Persönlichkeitsrechts und zur Sicherung der
Unverletzlichkeit seiner Individualsphäre geheim zu halten, zurückzutreten hat (vgl.
Senatsurteil vom 7. Juni 1984 - 2 AZR 270/83 - AP Nr. 26 zu § 123 BGB).
Für den Bereich der Schwerbehinderten besteht sowohl in der Literatur als auch in der
Rechtsprechung Einigkeit darüber, dass der Schwerbehinderte von sich aus nicht über die
bestehende Behinderung aufklären muss, soweit ihm die Tätigkeit dadurch nicht unmöglich
gemacht wird (BAG Urteil vom 25. März 1976 - 2 AZR 136/75 - AP Nr. 19 zu § 123 BGB). Dem
Arbeitgeber wird jedoch das Recht zugestanden, nach der Schwerbehinderteneigenschaft zu
fragen; der Arbeitnehmer hat die Pflicht, darauf wahrheitsgemäß zu antworten
(So BAG). Dieses uneingeschränkte Fragerecht hat der Senat
begründet mit den besonderen gesetzlichen Verpflichtungen, die für den Arbeitgeber durch
die Beschäftigung Schwerbehinderter entstehen; angesichts der rechtlichen und
wirtschaftlichen Tragweite und der betrieblichen Auswirkungen der Einstellung
schwerbehinderter Arbeitnehmer sei ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der
wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft bzw.
Gleichstellung anzuerkennen. An dieser in der Literatur teilweise kritisierten (Großmann,
NZA 1989, 702; Düwell, Praxishandbuch Arbeitsrecht, Teil 8, Kap. 5. l) Rechtsprechung hat
der Senat in seinem Urteil vom 11. November 1993 (- 2 AZR 467/93 - AP Nr. 38 zu § 123
BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) jedenfalls für die
Fälle festgehalten, in denen die Schwerbehinderungserkrankung für die auszuübende
Tätigkeit von Bedeutung ist und nur offengelassen, ob der Arbeitgeber auch bei
tätigkeitsneutralen Behinderungen ein uneingeschränktes Fragerecht nach der
Schwerbehinderteneigenschaft bzw. Gleichstellung hat. Ein solcher Fall liegt hier vor,
denn nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 561 ZPO) wird die von
der Klägerin zu erbringende einfache Reinigungstätigkeit nicht wesentlich dadurch
beeinträchtigt, dass die Klägerin auf einem Auge erblindet ist. Nach erneuter Prüfung
hält der Senat auch für die Fälle einer tätigkeitsneutralen
Schwerbehinderungserkrankung an der bisherigen Rechtsprechung fest.
2. Auch wenn die Behinderung für die auszuübende Tätigkeit ohne Bedeutung ist, darf der
Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor der Einstellung nach dessen Schwerbehinderteneigenschaft
bzw. Gleichstellung fragen. Die wahrheitswidrige Beantwortung dieser Frage kann eine
Anfechtung wegen arglistiger Täuschung begründen.
Es muss deutlich unterschieden werden zwischen der Frage des Arbeitgebers nach einer
Behinderung des Arbeitnehmers und der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft (so
schon Senatsurteil vom 7. Juni 1984 - 2 AZR 270/ 83 - AP Nr. 26 zu § 123 BGB).
Behinderung im Sinne des Schwerbehindertengesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur
vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen,
geistigen oder seelischen Zustand beruht (frühere § 3 Abs. 1 SchwbG). Solche Behinderungen auch
mit einem Grad von wenigstens 50 können bei einem Stellenbewerber vorliegen, ohne
dass er
seine Anerkennung als Schwerbehinderter beantragt hat oder auch nur beantragen will, und
ohne dass die Behinderung für die später auszuübende Tätigkeit von Bedeutung wäre.
Da
das Fragerecht nur berechtigte Interessen des Arbeitgebers schützt, hat der Senat die
Frage nach der Behinderung nur zugelassen, wenn die Behinderung erfahrungsgemäß die
Eignung des Stellenbewerbers für die vorgesehene Tätigkeit beeinträchtigt (Senatsurteil
vom 7. Juni 1984, aaO). Davon zu unterscheiden ist die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft: Ist der
Stellenbewerber als Schwerbehinderter anerkannt oder nach § 2 SchwbG einem
Schwerbehinderten gleichgestellt, so knüpfen sich daran für den Arbeitgeber während der
gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses zahlreiche gesetzliche Pflichten.
Diese begründen ein berechtigtes Interesse des
Arbeitgebers, den Stellenbewerber bei den Einstellungsverhandlungen nach dem
Schwerbehindertenstatus zu fragen.
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