Inhaltskontrolle von Eheverträgen
Die Grundsätze, die der BGH für
die Inhaltskontrolle von Eheverträgen aufgestellt hat und die einer
evident einseitigen, durch die individuelle Gestaltung der ehelichen
Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigten und für den belasteten
Ehegatten unzumutbaren Lastenverteilung begegnen sollen, hindern nicht
daran, sich auf einen vereinbarten Unterhaltsverzicht zu berufen. Nach
diesen Grundsätzen hat der Richter zunächst im Rahmen einer
Wirksamkeitskontrolle zu prüfen, ob die Vereinbarung schon im Zeitpunkt
ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derartig einseitigen
Lastenverteilung führt, dass ihr - unabhängig von der künftigen
Entwicklung der Ehegatten und ihrer Lebensverhältnisse - die
Anerkennung der Rechtsordnung zu versagen ist.
Angesichts von beiderseitiger
Mittellosigkeit begründet beispielsweise der wechselseitige
Unterhaltsverzicht ebenso wie der Ausschluss von Versorgungs- und
Zugewinnausgleich keine einseitige Lastenverteilung. Anhaltspunkte dafür,
dass aus der Lebensplanung ehebedingte Nachteile, etwa durch
Kinderbetreuung, erwachsen könnten, wären weiterhin zu prüfen. Hält
ein Ehevertrag der Wirksamkeitskontrolle stand, so muss der Tatrichter
im Rahmen der Ausübungskontrolle prüfen, ob und inwieweit ein Ehegatte
die ihm durch den Vertrag eingeräumte Rechtsmacht missbraucht, wenn er
sich im Scheidungsfall gegenüber einer vom anderen Ehegatten begehrten
gesetzlichen Scheidungsfolge darauf beruft, dass diese durch den
Ehevertrag wirksam abbedungen sei. Dafür ist entscheidend, ob sich
nunmehr - im Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe - aus dem vereinbarten
Ausschluss der Scheidungsfolge eine evident einseitige Lastenverteilung
ergibt, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten auch bei
angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und
seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede sowie bei verständiger
Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar ist. Das kann insbesondere dann
der Fall sein, wenn die tatsächliche einvernehmliche Gestaltung der
ehelichen Lebensverhältnisse von der ursprünglichen, dem Vertrag
zugrunde liegenden Lebensplanung grundlegend abweicht. Wenn in dem
wechselseitigen Ausschluss keine evident einseitige und für die
Antragstellerin im Nachhinein unzumutbare Lastenverteilung liegt,
hindert § 242 BGB die Berufung auf den Unterhaltsverzicht nicht.
Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine Vereinbarung, durch die
Verlobte oder Eheleute für den Fall ihrer Scheidung auf nachehelichen
Unterhalt verzichten, nach deren von Inhalt, Beweggrund und Zweck
bestimmten Gesamtcharakter gegen die guten Sitten verstoßen, falls die
Vertragsschließenden dadurch bewusst eine Unterstützungsbedürftigkeit
zu Lasten der Sozialhilfe herbeiführen, auch wenn sie eine Schädigung
des Trägers der Sozialhilfe nicht beabsichtigen. Durch einen
Unterhaltsverzicht werde eine Unterstützungsbedürftigkeit eines
Ehegatten zu Lasten der Sozialhilfe allerdings dann nicht herbeigeführt,
wenn die Ehegatten bei Abschluss des Ehevertrags noch nicht verheiratet
gewesen seien, die Eheschließung aber vom vorherigen Unterhaltsverzicht
abhängig gemacht hätten. Denn in einem solchen Fall habe der später
bedürftige Ehegatte von vornherein keine Aussicht gehabt, einen
Anspruch auf nachehelichen Unterhalt zu erwerben. Der Unterhaltsverzicht
habe daher die Bedürftigkeit dieses Ehegatten und damit dessen Risiko,
zur Bestreitung seines Lebensunterhalts auf Leistungen der Sozialhilfe
angewiesen zu sein, nicht erhöht. Diese Rechtsprechung zur Nichtigkeit
von Unterhaltsvereinbarungen, die zu Lasten der Sozialhilfe
abgeschlossen werden, ist durch die Grundsätze, die der BGH zur
Inhaltskontrolle von Eheverträgen entwickelt hat, nicht gegenstandslos
geworden. Sie bedarf allerdings der Eingrenzung und Präzisierung: Wie
der BGH ausgesprochen hat, gehört es zum grundgesetzlich verbürgten
Recht der Ehegatten, ihre eheliche Lebensgemeinschaft
eigenverantwortlich und frei von gesetzlichen Vorgaben entsprechend
ihren individuellen Vorstellungen und Bedürfnissen zu gestalten. Die
auf die Scheidungsfolgen bezogene Vertragsfreiheit entspringt insoweit
dem legitimen Bedürfnis, Abweichungen von den gesetzlich geregelten
Scheidungsfolgen zu vereinbaren, die zu dem individuellen Ehebild der
Ehegatten besser passen. So können etwa Lebensrisiken eines Partners,
wie sie z.B. in einer bereits vor der Ehe zu Tage getretenen Krankheit
oder in einer Ausbildung angelegt sind, die offenkundig keine
Erwerbsgrundlage verspricht, von vornherein aus der gemeinsamen
Verantwortung der Ehegatten füreinander herausgenommen werden.
Entsprechendes gilt auch für andere nicht ehebedingte Risiken. Aus dem
Gedanken der nicht allein auf die Ehezeit beschränkten Solidarität
ergibt sich nichts Gegenteiliges: Dieser Gedanke ist weder dazu bestimmt
noch geeignet, unterhaltsrechtliche Pflichten, in denen sich die
nacheheliche Solidarität konkretisiert, als zwingendes, der Disposition
der Parteien entzogenes Recht zu statuieren.
Daraus
folgt, dass ein ehevertraglicher Unterhaltsverzicht nicht schon deshalb
sittenwidrig ist, weil er bewirkt, dass ein Ehegatte im Scheidungsfall
auf Sozialhilfe angewiesen bleibt, während er ohne den
Unterhaltsverzicht von seinem geschiedenen Ehegatten Unterhalt
beanspruchen und deshalb Sozialhilfe nicht mehr in Anspruch nehmen könnte.
Denn die berechtigten Belange des Sozialhilfeträgers
gebieten es Ehegatten nicht, mit Rücksicht auf ihn Regelungen zu
unterlassen, die von den gesetzlichen Scheidungsfolgen abweichen, ihrem
individuellen Ehebild aber besser gerecht werden als die gesetzliche
Regelung. Eine Pflicht von Eheschließenden zur Begünstigung des
Sozialhilfeträgers für den Scheidungsfall kennt das geltende Recht
nicht. Dies gilt unabhängig davon, ob der Ehevertrag vor oder nach der
Eheschließung vereinbart worden ist und ob die Ehegatten im ersten Fall
die spätere Eheschließung vom Abschluss des Ehevertrags abhängig
gemacht haben. Allerdings kann eine Unterhaltsabrede dann sittenwidrig
sein, wenn die Ehegatten damit auf der Ehe beruhende Familienlasten
objektiv zum Nachteil der Sozialhilfe geregelt haben. Das ist namentlich
dann der Fall, wenn sich aus der Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse,
insbesondere aus der Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit, im
Scheidungsfall Nachteile für einen Ehegatten ergeben, die an sich durch
den nachehelichen Unterhalt ausgeglichen würden, deren Ausgleich die
Ehegatten aber vertraglich ausgeschlossen haben. Das gilt auch dann,
wenn ein von den Ehegatten vereinbarter Unterhaltsverzicht einer auf das
Verhältnis der Ehegatten zueinander bezogenen Inhaltskontrolle standhält
- etwa weil dieser Verzicht durch anderweitige Vorteile (z.B. durch
Zuwendung eines Wohnrechts) des verzichtenden Ehegatten kompensiert
wird, ohne dessen sozialhilferechtliche Bedürftigkeit entfallen zu
lassen. Auch in einem solchen Fall können die Ehegatten ehebedingte
Nachteile, die das Recht des nachehelichen Unterhalts angemessen
zwischen ihnen ausgleichen will, nicht durch einen Unterhaltsverzicht
auf den Träger der Sozialhilfe verlagern und damit die wirtschaftlichen
Risiken ihrer individuellen Ehegestaltung gleichsam
"sozialisieren".
Fraglich ist, ob ein
Unterhaltsverzicht sich darüber hinaus auch in anderen Fällen als
sittenwidrig erweisen kann, in denen aufgrund der Eheschließung eine
Belastung des Sozialhilfeträgers eintritt, indem dieser für einen
Ehegatten dauerhaft oder doch längerfristig aufkommen muss, weil die
Ehegatten für den Scheidungsfall eine Unterhaltspflicht des anderen
Ehegatten ausgeschlossen haben.
Voraussetzung für eine
sittenwidrige Belastung des Sozialhilfeträgers ist stets, dass ohne den
Unterhaltsverzicht des einen Ehegatten eine Unterhaltspflicht des
anderen Ehegatten bestünde und erst der Ausschluss dieser Pflicht zur
Belastung des Sozialhilfeträgers führt. |
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