Wichtiger Fall des OLG Hamm 3 UF 74/98:
"Ein Unterhaltsbedürftiger muss zunächst auf die ihm gesetzlich
zustehenden Unterhaltsansprüche zurückgreifen, bevor er auf dem Weg über
eine Inanspruchnahme des Sozialhilfeträgers die Allgemeinheit belastet.
Im vorliegenden Falle läge somit, falls ein Unterhaltsverzicht nach türkischem
Recht gegeben wäre, ein Verstoß gegen BGBEG Art 6 vor, so dass der
Verzicht unwirksam wäre."
Hintergrund: Scheidung eines
langjährig verheirateten türkischen Ehepaars vor einem türkischen
Gericht, die Frau erklärte einen Verzicht auf Ehegattenunterhalt in der
Türkei. Ist der wirksam? Kann Sie hier Sozialhilfe in Anspruch nehmen?
Aus den
Gründen: Wenn nach türkischem Recht ein gültiger Verzicht
der Klägerin auf nachehelichen Unterhalt vorliegen würde, wäre der
Verzicht wegen eines Verstoßes gegen den inländischen ordre public
(Art. 6 EGBGB) unwirksam. Der Verzicht würde einen untragbaren Verstoß
gegen die guten Sitten darstellen. Wäre der Verzicht nämlich wirksam,
müsste der Unterhalt der Klägerin von Dritten – möglicherweise von
den Kindern – oder letztlich von dem Träger der Sozialhilfe
bestritten werden, obwohl der Beklagte zumindest teilweise leistungsfähig
ist. Soweit aber Eheleute mit einem Unterhaltsverzicht im Rahmen eines
Scheidungsverfahrens lediglich ihre finanziellen Verpflichtungen regeln
wollen, endet die ihnen eingeräumte Vertragsfreiheit dort, wo die
Rechte Dritter entgegenstehen (vgl. BGHZ 86, 82 (87)). Wenn von den
Parteien hier eine Verzichtserklärung abgegeben worden ist, so ist
dieser Verzicht nach den subjektiven Beweggründen wie nach ihrem
objektiven Gehalt im Sinne der Entscheidung des BGH (a.a.O.) mit den
guten Sitten unvereinbar.
Zunächst sind billigenswerte
subjektive Beweggründe der Parteien für den Verzicht nicht erkennbar.
Nach den Angaben der Klägerin hat sie sich zu der Erklärung gedrängt
gefühlt, weil sie Angst vor dem Beklagten hatte und weitere Tätlichkeiten
und Drohungen gegenüber ihren Familienangehörigen befürchtete. Der
Beklagte hat zwar Tätlichkeiten und Drohungen gegenüber Familienangehörigen
der Klägerin bestritten, hat aber außer seiner Meinung, dass die Klägerin
sich selbst unterhalten könne zur Begründung des Verzichts nichts
vorgetragen.
Auch nach seinem objektiven
Gehalt stände der Verzicht mit den guten Sitten nicht in Einklang. Die
Klägerin war und ist nicht in der Lage, sich selbst zu unterhalten.
Ihre Möglichkeiten, sich selbst zu unterhalten, sind nach den Verhältnisse
in Deutschland zu beurteilen. Der Beklagte lebt nämlich seit 1964 in
Deutschland, die Klägerin lebt hier seit 1974. Beide Parteien wollen
auch weiterhin in Deutschland leben. Die Klägerin bezog bei der
Scheidung bereits seit mindestens 1 1/2 Jahren Sozialhilfe. Ob sie nach
der Trennung vom Beklagten am 12.09.1990 zunächst 10.000,00 DM bekommen
hat, was streitig ist, ist nicht entscheidend. Auch mit diesem Betrag wäre
der Unterhalt nur für eine Übergangszeit nach der Trennung zu
bestreiten gewesen. Es war nicht davon auszugehen, dass sie in ihrem
Alter von 56 Jahren im Zeitpunkt der Scheidung nach 38-jähriger
Hausfrauenehe ohne Erfahrung im Erwerbsleben und fast ohne deutsche
Sprachkenntnisse in Deutschland ihren Unterhalt hätte sicherstellen können.
Das war beiden Parteien bewusst.
Es liegt somit ein besonderer Härtefall
vor, der auch untragbar ist, weil die Klägerin nach der langjährigen
Ehe für ihren Unterhalt nicht mehr sorgen kann, der Beklagte aber
teilweise leistungsfähig ist. Der Senat teilt die Auffassung nicht, dass
die Notwendigkeit des Eintritts der Sozialhilfe für die Klägerin –
voraussichtlich sind Dritte zum Unterhalt nicht verpflichtet – nur
eine rein fiskalische Frage betrifft, die Frage des inländischen ordre
public aber nicht berührt (...). Die völlige Freistellung des
(teilweise) leistungsfähigen Beklagten zu Lasten Dritter, zu denen auch
der Träger der Sozialhilfe gehört, steht vielmehr im Widerspruch zu
dem Grundgedanken der inländischen Rechtsordnung und zu den hierin verkörperten
Gerechtigkeitsvorstellungen. Wie der BGH (BGHZ 86, 82 ff.) unter
Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE
17, 38, 56) ausgeführt hat, gehört zu den Grundlagen des Prinzips der
Sozialstaatlichkeit, dass derjenige "der sich aus eigener Kraft zu
helfen in der Lage ist, mit seinem Wunsch nach staatlicher Hilfe zurücktreten
muss."
Hieraus ergibt sich u.a., dass
ein Unterhaltsbedürftiger auch auf die ihm gesetzlich zustehenden
Unterhaltsansprüche zurückgreifen muss, bevor er auf dem Weg über
eine Inanspruchnahme des Sozialhilfeträgers die Allgemeinheit belastet
(vgl. BGHZ 86, 82 (88). Es läge somit – falls ein Unterhaltsverzicht
nach türkischem Recht gegeben wäre – ein Verstoß gegen Art. 6 EGBG
vor, so dass der Verzicht unwirksam wäre. Von dem nach Art. 6 EGBGB
notwendigen Inlandsbezug für die Feststellung eines Verstoßes gegen
den inländischen ordre public ist auszugehen. Beide Parteien leben seit
Jahrzehnten in Deutschland und wollen in Deutschland bleiben. Der Senat
ist daher der Auffassung, dass der Klägerin der Unterhaltsanspruch
gem. Art. 144 türkZGB in der geltend gemachten Höhe zusteht..."
Zur
Klarstellung: Der beklagte Mann ist durch deutsches Urteil
zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt (452,71 DM monatlich) an die
Frau in Höhe von ab 1. August 1997 verurteilt worden. Der Klägerin
stand gemäß Art. 18 Abs. IV EGBGB i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 3 FamRÄndG,
Art. 144 türkZGB dem Grunde nach ein Unterhaltsanspruch gegen den
Beklagten zu. Es war türkisches Recht anwendbar. Beide Parteien
besaßen die türkische Staatsangehörigkeit und waren geschieden.
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der Ehewohnung, Grundstücken,
Scheinehe,
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Auch familienrechtliche Konstellationen aus dem internationalen
Privatrecht, wenn also Bezüge zu fremden Rechtsordnungen, etwa europäischen
oder türkischen (Speziell
zur Scheidung nach türkischem Recht) Regelungen
zu klären waren, haben wir untersucht.
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